Sakrale Dutzendware, profanisiert – und individualisiert

Ein schelmischer Teufel hat von allen Skulpturen Besitz ergriffen: Werner Reiterer als Putto.
Das Schlossmuseum in Linz macht Staunen – ob der unterschiedlichen Sammlungen und der gar sonderlichen Exponate. Im Innenhof zum Beispiel entdeckt man eine in lichten Höhen auf einer Stange montierte Handschwengel-Brunnenpumpe aus Gusseisen – als sei sie eine Fahne der Kunst (von Michael Kienzer, der unter dem Titel „Outside, twelve Pieces“ bis 26. Oktober einen Querschnitt seiner Arbeiten präsentiert).

Schlossmuseum Linz: Michael Kienzer
Danach verirrt man sich zu den monströsen Keramikskulpturen von Elmar Trenkwalder, die an fernöstliche Tempelanlagen erinnern (bis 17. August). Man schlendert vorbei an mittelalterlichen Holzskulpturen und bemerkt eine Gottesmutter mit Kind, die an einer Kette mitten im Saal baumelt.
Wieder nimmt man den riesigen Plan in Grellgelb zur Hand, um sich in diesem Labyrinth auf vier Ebenen zurechtzufinden: Mit bunten Pickerln sind die Sonderausstellungen markiert. Und dann geht es weiter ins Verlies – in das irrwitzige wie selbstbezügliche Pandämonium des Werner Reiterer. Wie ein schelmischer Teufel hat er von den dort versammelten Heiligenstatuen Besitz ergriffen. Samt und sonders (das ist übertrieben, aber zumeist) tragen sie sein Konterfei: eher schlecht rasiert und mit Brille. Da schwebt ein grotesker Reiterer-Putto im Raum, dort streckt ein absurdes Reiterer-Jesuskind die Zunge raus.

Eine Heiligenfigur schwebt im Saal - mit den Füßen von Werner Reiterer
18 Skulpturen von Heiligen und biblischen Gestalten aus der Zeit von 1500 bis 1900 wurden, so liest man im Ausstellungsführer, durch den Künstler skulptural umgeformt und mit zeitgenössischen Attributen versehen – vom Tattoo bis zum Handy. Hat der Steirer tatsächlich die Bestände des Museums geplündert, um sich zu verewigen? Nein, natürlich nicht. Aber er hat die Skulpturen auch nicht neu schnitzen oder im 3D-Drucker kopieren lassen: Er kaufte sie tatsächlich am Kunstmarkt. Es handelt sich dabei um keine ausgesprochenen Meisterwerke, sondern um Dutzendware.
Der Überbildhauer
Das erinnert ein wenig an Arnulf Rainer, der (aus Geldnot) alte Leinwände übermalte. Werner Reiterer ist folglich der Überbildhauer: Nahtlos (zumeist) schrieb er sich in einem Akt der Individualisierung in die Vorlagen ein. Und das macht er mit viel Witz. Der kleine Bettler zu Füßen der Heiligen Elisabeth: Das ist nun er. Und dem Reiterer-Gesicht des Heiligen Nikolaus hat er einen auf Papier gemalten Bart umgehängt.
All diese „gefakten Identitäten“ hängen an Stahlseilen von der Decke – an ihrer Unterkante in einer Höhe von exakt 171 Zentimeter: Das sei die anatomische Blickhöhe des Künstlers. Die Auseinandersetzung mit der sakralen Kunst – auf Augenhöhe – nennt sich denn auch „The Mind Hacker“. Ergänzt wurde sie von Kuratorin Gabriele Spindler mit einem Reiterer-Best-of, darunter 80 Zeichnungen aus den letzten drei Jahrzehnten (der Autor dieser Zeilen stellte das Blatt „Anfänge der Raumfahrt“ zur Verfügung) und einer Schlagzeug-Fußmaschine: Tritt man drauf, hört man die Engel singen. Noch bis 28. September.
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