Wütende Männer
Obwohl Kapranos die Missbilligung dieser aktuellen Gesellschaftssituation im Gespräch so leidenschaftlich äußert, deutet er sie in dem wunderbar eingängigen Song „Audacious“ nur in Nebensätzen an.
Auch in zwei, drei anderen Songs des neuen Franz-Ferdinand-Albums „The Human Fear“ kommen die großen gesellschaftlichen Ängste unserer Zeit nur am Rande vor. Mit gutem Grund. „So viele Leute schreiben politische Songs, die ich aber schrecklich finde“, sagt der 52-Jährige. „Das sind fast immer wütende Männer, die ihre politische Haltung rausschreien. Ich halte das für eine Bevormundung, die auf der Haltung basiert, dass das Publikum ignorant ist. Ich hasse das! Ich halte mein Publikum für klüger als mich, würde ihm niemals erklären, was es denken soll. Im Gegenteil: Ich liebe die Idee, dass die Leute meine Songs in einer viel komplexeren Art interpretieren können, als ich selbst.“
Der zweite Grund, für die gewollte Interpretationsoffenheit der Songs von „The Human Fear“, die jede Menge aufbauende Energie im typischen Franz-Ferdinand-Sound bieten, ist die Art, wie Kapranos Songs schreibt. Es gebe dabei immer viele verschiedene Ideen, die aufeinanderprallen prallen und sich vermischen, sagt er.
„Der Song ,Hooked‘ ist ein gutes Beispiel. Der entstand, als mein Sohn geboren wurde. Davor haben mir viele Leute gesagt: ,Du wirst ihn lieben‘. Ich dachte dann immer: ,Ja, klar, ich habe Liebe erfahren, ich weiß, wie sich das anfühlt.‘ Ich war aber überhaupt nicht darauf vorbereitet, wie überwältigend diese Art Liebe ist. Das hat mich schockiert. Gleichzeitig spielen in diesen Song all die existenziellen Ängste hinein, die ich immer hatte – weil die mit der Geburt meines Sohnes zwar nicht verschwunden sind, mir aber viel unbedeutender vorkommen.“
Dass sich alle Songs von „The Human Fear“ im Kern um menschliche Ängste drehen, ist kein bewusstes Konzept.
„Ich kann mir nicht vornehmen, für ein Album nur Songs zu einem bestimmten Thema zu schreiben. Ich bin der Typ Mensch, der sofort dagegen rebelliert, wenn es solche Regeln gibt. Aber nachdem alle Songs fertig waren, habe ich festgestellt, dass das Thema überall drinnen steckt. Sei es wie in ,Bar Lonely‘ die Angst, eine Beziehung aufzulösen, obwohl beide wissen, dass es vorbei ist, sei es wie in ,The Birds‘ die Angst vor Demütigung durch Gleichgesinnte und davor, nicht mehr zu einer Gruppe zu gehören.“
Eine ungewöhnliche Angst greift Kapranos, der Anfang der Nullerjahre mit Band-Hits wie „Do You Want To“, „Take Me Out“ oder „No You Girls“ durchstartete, in „The Doctor“ auf. Da geht es nicht um die Angst vor Ärzten, sondern um die, das Spital zu verlassen.
„Ich hatte als Kind chronisches Asthma und war oft im Spital. Am Anfang wollte ich da natürlich nicht hin, aber wenn ich entlassen wurde, machte mir das auch Angst – obwohl es mir dann besser ging. Das war die Angst, eine Institution zu verlassen, die sich um alles kümmert. Dieses Gefühl habe ich heute noch, wenn ich von einer Tour zurückkomme, wo für alles gesorgt ist. Denn zu Hause bin ich dann wieder für alles selbst verantwortlich.“
Von außen
Außergewöhnlich im Sound ist das Lied „Black Eyelashes“, in das das Quintett eine Bouzouki eingebaut hat und das sich an den melancholischen Klängen der griechischen Rembetiko-Folklore orientiert. „Ich liebe diese Musik“, sagt Kapranos. „Sie stammt von den Flüchtlingen, die von Smyrna nach Griechenland kamen, von Vertriebenen also. Ich denke, dass mein enger Bezug dazu daher kommt, dass ich mich mein ganzes Leben auch so entwurzelt so gefühlt habe. Denn ich habe einen griechischen Vater. Ich wuchs aber in England und Schottland auf und habe mich dabei griechisch gefühlt, aber nie zu den Griechen gehört. Dann war ich eine Zeit in New York, wo ich mich wie ein Brite gefühlt habe.“
Jetzt lebt Kapranos mit seiner Frau, der französischen Singer/Songwriterin Clara Luciani, in Paris, fühlt sich auch dort wie ein Außenseiter: „Das ist wohl mein Schicksal. Aber irgendwie mag ich das. Denn von außen auf etwas zu blicken, schärft deine Perspektiven.“
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