Ringen um Bilder im Styropor: Das Filmprojekt der Gruppe Gelatin

Ringen um Bilder im Styropor: Das Filmprojekt der Gruppe Gelatin
Mit Impulsen von Liam Gillick entsteht in der Kunsthalle Wien im MQ – ja, was genau eigentlich?

Ist es ein Spielplatz? Eine Bühne? Eine Baustelle? Es ist jedenfalls keine Ausstellung, auch wenn es ab der kommenden Woche noch etwas in der Art werden könnte.

Dann nämlich werden die Dreharbeiten zu „Stinking Dawn“ – ein Film soll es werden, in abendfüllender Länge – abgeschlossen sein. Das Set bleibt dann bis 6.10. stehen.

Die Mitglieder der Wiener Künstlergruppe Gelatin werden dann nicht mehr mit auf den Bäuchen aufgemalten Gesichtern oder in Pferdekostümen umherlaufen. Die riesigen Styroporblöcke, die wie aus Beton wirken, werden nicht mehr ständig umher geschoben. Es wird auch nicht mehr versucht werden, mit einem Pinsel im Popo Kreise zu malen. Aber „es wird Bilder geben“. Das sagt zumindest Liam Gillick.

Ringen um Bilder im Styropor: Das Filmprojekt der Gruppe Gelatin

Der in New York lebende Brite gestaltete das Bühnenset, mit dem New Order im Frühsommer 2018 bei den Wiener Festwochen in der angrenzenden MQ-Konzerthalle gastierten. Nun scheint er der Einzige zu sein, der im geschäftigen Treiben, das noch bis Sonntag (täglich ab 14 Uhr) vom Publikum verfolgt werden kann, Coolness bewahrt. „Es ist, wie wenn ein Flugzeug durch einen Sturm fliegt“, sagt Gillick. „Es mutet wild an, aber im Cockpit ist es relativ ruhig, und Menschen drücken Knöpfe.“

Filmdreh als Aufgabe

Gelatin in der Kunsthalle Wien

Die Kollaboration von Gillick und Gelatin ist das Abschiedsprojekt des Ex-Kunsthallen-Chefs Nicolaus Schafhausen, der Gillick seit Langem verbunden ist – er zeigte ihn 2009 im deutschen Pavillon der Venedig-Biennale.

Wie Gelatin wird Gillick von der Galerie Meyer Kainer vertreten, man kennt einander also. Die Ankündigung, dass der Film „unter der Regie von Gillick und auf Basis seines Drehbuchs“ entstünde, wurde am Eingang allerdings ebenso mit roten Streifen überklebt wie der Befund, dass der Dreh innerhalb „eines von Gelatin gestalteten Bühnenbildes“ stattfinde.

Tatsächlich wird bei der seit den 1990ern aktiven Künstlergruppe die Autorschaft gern durch Partizipation und Improvisation ersetzt. Auch Zuschauer sind Akteure, sie müssen eine Einverständniserklärung unterschreiben und können sich dann auf einen riesigen Diwan fläzen, der Franz West – quasi Urvater dieses Kunstverständnisses – beschwört.
Dada-Humor gehört dazu (bei einer „Pressekonferenz“ machten Protagonisten nur Blubbergeräusche), hippieske Zusammenkünfte (bei der Eröffnung tanzte eine barbusige Frau) auch. Das durchaus eindrucksvolle Environment lässt sich aber ebenso ernsthaft als Skulpturenpark oder als lebendiges Atelierbild betrachten.

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„Gelatin brauchen immer einen Rahmen, gegen den sie anrennen können“, sagt Gillick. „Für mich ist dieser Rahmen das Filmische. Die Umsetzung einer Idee am Set, die Hierarchien – damit müssen sie umgehen.“

So diskutieren Gelatin während eines KURIER-Besuchs, wie ein Tempel und ein Wald für eine Szene gebaut werden sollen. „Im Drehbuch stehen aber kein Tempel und kein Wald“, sagt Gillick – sein Script gebe lediglich eine lose Geschichte vor, die um die Idee kreist, dass man „an einen Punkt kommt, an dem direkte Aktion die einzige Möglichkeit ist“. Einer der Referenzpunkte ist der Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der sich 1972 beim Versuch, einen Strommasten zu sprengen, selbst in die Luft jagte.

Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen radikalen Handelns schwebt also über der Szenerie, die oft historische Formen des Subversiven (die Blubber-Pressekonferenz! Die Nacktperformance!) nachzuerzählen scheint. Irgendwann stellt sich die Frage, ob Radikalität ein Publikum braucht – ein solches ist nämlich bei den KURIER-Besuchen kaum vorhanden. Es wäre in der Geschichte der Avantgarde allerdings nicht das erste Mal, dass Aktionen erst durch ihre Nacherzählung – als „Legende“ – wirksam werden.

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