Raphaël Pichon im Wiener Konzerthaus: Reflexionen über das Sein

Pichon ist Gründer des Originalklangensembles Pygmalion.
von Susanne Zobl
Wie selten ein Musiker verbindet Raphael Pichon ein Höchstmaß an Können und Wissen mit tiefsinnigen Interpretationen. Das war auch bei „Requiem pour Ophélie“, dem zweiten Konzert einer Reihe, die ihm das Konzerthaus gewidmet hat, zu erleben.
Mit seinem „Originalklang“- Ensemble Pygmalion, dem dazugehörigen Chor, der Sopranistin Sabine Devieilhe und dem Bariton Stéphane Degout lässt er diese Totenmesse für Hamlets Gefährtin zur Reflexion über das Sein an sich werden.
Psychopathischer Prinz
Die Glocken zu Beginn signalisieren, hier geschieht etwas Besonderes. Sie ertönen im Laufe des Abends immer wieder wie mahnende Zwischenrufe. Mit „Tristia“, einer „Méditation religieuse“ von Hector Berlioz stimmt er mit Bedacht auf das Kommende ein. Wortdeutlich besingt der Chor den Himmel, die Balance der Stimmen ist ausgewogen. Jede und jeder in diesem Ensemble könnte solistisch agieren. Atemberaubend zelebriert Pichon Berlioz“ „Trauermarsch“ und leitet nahtlos zu Ambroise Thomas“ „Hamlet“ über.
Degout, der bereits bei den Salzburger Festspielen als psychopathischer Dänenprinz in einer szenischen Aufführung überwältigte, übertrifft sich in dieser Formation selbst.
Seinen Schmerzensruf „Hélas“ intoniert er fulminant mit seinem warm timbrierten Bariton mit Intensität, das „Être ou ne pas être“ („Sein oder nicht sein“) wird zur tiefsinnigen Reflexion über das Sein. Sabine Devieilhe ist eine betörende Ophelia. In ihrem Monolog paart sie virtuos Innigkeit und Ausdruck mit Wahrhaftigkeit.
Zur Offenbarung gerät Gabriel Faurés Requiem. Pichon changiert atemberaubend zwischen spirituellen Chorälen und großer französischer Oper. Aufwühlend schlägt die Harfe im „Libera me“ ihr beständiges Flehen an. Konzertmeister Afanasy Chupin bringt seine Geige liebevoll zum Singen.
Denkwürdig, verstörend schön gerät die Bitte um ewige Ruhe. Ovationen.