Ralf Rothmann: Stillleben mit Kriegstoten

Ralf Rothmann: Stillleben mit Kriegstoten
Der Schriftsteller, der mit „Im Frühling sterben“ begeisterte, legt "Der Gott jenes Sommers" nach

Ralf Rothmann, ein Stiller der Literatur, der lieber schreibt als redet und nicht im Mittelpunkt stehen will, hatte 2015 gute Chancen auf den Deutschen Buchpreis.
Aber er hat sich der Jury verweigert.
Rothmann findet dieses Schaulaufen nämlich unwürdig. Es gibt, sagt er, keinen „besten Roman des Jahres“. Es kann keinen geben.
Damals war  sein „Im Frühling sterben“ aktuell. Weil seine Eltern penetrant über den Krieg geschwiegen haben, begab er sich ins Grauen; und da der heute 64-Jährige aus Schleswig-Holstein wie kaum ein anderer BE-schreiben kann (deshalb mag ihn Peter Handke wohl so sehr), war man mittendrin. Nahezu einhellig waren die Kritiker begeistert.
Nur ein Beispiel: Die Kühle am Morgen macht er spürbar, indem er vom Wecker erzählt, der nun so klingt, als wären die Zahnräder plötzlich aus Glas; und man den Atem sieht ... von Raben, die von einer Ackerfurche zur anderen springen, um etwas aus der Erde zu picken.
Ralf Rothmann ist in den Krieg zurückgekehrt, denn bei einer Lesung kam eine ältere Zuhörer zu ihm: Sie sei als 12-Jährige in seinen Vater verliebt gewesen.
Das war wie ein Funken. Das konnte man in Rhythmus bringen; und so bekam der Schriftsteller  Gelegenheit, seine Vaterfigur etwas „herzurichten“. Er füllte das Vakuum, denn er weiß so wenig über den Vater.

Mit dem Titel „Der Gott jenes Sommers“ ist demnach (ein winziges Bisschen nur) Rothmanns Vater gemeint.
18 war er damals und verlobt und  Melker, bevor er Soldat wurde. Und die erste Liebe eines noch zu kleinen Mädchens war er, das mit Mutter und Schwester das zerbombte Kiel hatte verlassen musste und auf einem Gutshof untergebracht wurde.  Ohne Hast und (scheinbar) ohne Ziel wird erzählt. Alltag in den letzten  Kriegswochen und in den Tagen nach der Befreiung. Ein leises Zeitporträt. Ein Stillleben mit Toten. Leben wollen die Jungen, sterben müssen sie.  Einer bringt sich um, ein englischer Kriegsgefangener wird getötet, der Nazi, der ihn erschossen hat, wird von den Engländern erschossen ...
Und doch: Es gibt Schönheit, Luisa – die kluge Zwölfjährige, die zu viel erlebt  in dieser Zeit–  hütet sie: Es sind Bücher. Sie liest und bewahrt auf. Erich Kästner, Don Quijote, Winnetou ...
Ihre große Schwester verschwindet eines Tages: Stets hatte sie lautstark gehofft, Hitler „und sein Gesocks“ möge zum Teufel gejagt werden. Da faltete ihre Mutter die Hände – sie habe Hitler so viel zu verdanken: „... die rhythmische Gymnastik und das schöne Tuch mit dem Lederknoten beim Bund Deutscher Mädchen!“

 


Ralf Rothmann: „Der Gott jenes Sommers“
Suhrkamp.
254 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

 

 

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