„Alles gerettet“ in Wiener Neustadt: Ganz Wien steht vor Gericht
Wortwiege-Festival zeigt Carl Merz‘ und Helmut Qualtingers Prozessdrama um den historischen Ringtheaterbrand.
06.03.25, 10:23
Von Marie-Sarah Drugowitsch
Das Wortwiege-Festival in den historischen Kasematten von Wiener Neustadt steht dieses Jahr unter dem Leitgedanken „Courage“. Passend dazu wurde das selten gezeigte Prozessdrama des legendären Autorenduos Carl Merz und Helmut Qualtinger, in der Regie von Anna Luca Krassnigg, der künstlerischen Leiterin des Festivals, inszeniert. In „Alles gerettet“ entfaltet sich ein beklemmendes Panoptikum der Sich-Rechtfertigenden, durchbrochen von erschütternden Berichten derer, die Angehörige verloren haben.
Am 8.12.1881 kostete der Ausbruch eines Brandes im Ringtheater offiziell über 380 Menschen das Leben. Im folgenden Jahr steht „ganz Wien“ vor Gericht - Bühnenarbeiter, Theaterdirektor, Feuerwehrmänner und der Polizeirat, als Angeklagter oder Zeuge. Merz und Qualtinger verarbeiten viel Prozessmaterial, woraus ein berührendes, menschliches Welttheater, ein abgründiges Spektakel, auf der verzweifelten Suche nach Wahrheit und den Verantwortlichen, entsteht.
Ursprünglich wurde „Alles gerettet“ 1963 als TV-Spiel im ORF ausgestrahlt, verschwand dann aber weitgehend von der Bildfläche. Tatsächlich scheint das Stück besser als Film, denn als Bühnenstück zu funktionieren, was unter anderem der großen Anzahl an Figuren geschuldet sein mag. Fünf Schauspieler, Lukas Haas, Ida Golda, Isabella Wolf, Saskia Klar und Jens Ole Schmieder, schlüpfen an dem Abend in über 20 verschiedene Rollen, das stetige Kommen und Gehen, die wiederholten Gerichtsaussagen, haben, trotz unterhaltsamer Anekdoten im Wiener Dialekt, durchaus ihre Längen.
Zeugenaussagen werden von den Schauspielern verkörpert, das Gericht spricht aus dem Off, das Publikum bleibt irgendwo dazwischen – und doch auch mittendrin. Der Titel entlarvt den zynischen Sprachgebrauch von Polizeirat und Wachmännern, die mit der Floskel „Alles gerettet“ weniger die Wahrheit gesucht haben, als vielmehr die eigene Verantwortungslosigkeit zu kaschieren versuchten. Es ist eine Satire auf die menschliche Unzulänglichkeit: Die Schuld liegt immer bei den anderen.
Besonders prägnant sind die Aussagen eines Theatermitarbeiters: „Da hob i obi gschaut und ma denkt, es brennt, e scho z’spät“ –, während die Garderobiere ohne Scham gesteht: „Ich bin zhaus gangen und hab mi schlafen glegt. Warad i no Platzanweiserin gwesen, hät i den Herrschaften gsagt, bleibens ruhig, es ist nix und dann hätt i gschaut dass ich außi kim.“ Die Konsequenz aus all diesen Geständnissen ist ernüchternd: Während Zeugen beteuern, dass mehr Menschen hätten gerettet werden können, fällt das Gericht eine milde Strafe – hochrangige Beamte wie der Polizeirat werden gar freigesprochen.
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