Bilder des Übergangs, vom Las Vegas der Seidenstraße bis zur Fluchtroute

Die größte Matrjoschka-Puppe der Welt steht in der mongolischen Stadt Manchouli (Manjur) direkt an der chinesisch-russischen Grenze. Als Übergangsbahnhof für Frachtzüge ist die Stadt ein wichtiger Stopp auf der „Neuen Seidenstraße“, in jüngerer Zeit wurde der Ort zu einem enormen Themenpark im Las-Vegas-Stil umgebaut. Die Gebäude ahmen aber keine Cäsarenpaläste, Luxor-Tempel oder die Skyline New Yorks nach, sondern haben die russisch-chinesische Freundschaft zum Generalthema: Es gibt eine falsche Basilius-Kathedrale, ein „russisches Folkloredorf“ und nachgeahmte Fassaden, die an die St. Petersburger Eremitage erinnern.
In der Kunsthalle Wien am Karlsplatz – sie wurde zuletzt umgebaut, was ein wenig mehr Schaufläche zur Folge hat – folgt man der Künstlerin Ida Kammerloch gebannt auf ihrem Weg durch diese Metropole im Nirgendwo. Die nüchternen Kameraeinstellungen des Films „Made In China“ sprechen für sich, der Off-Kommentar nervt eher, aber offenbar schreibt ein Zentralkomitee diesen Ton, der stets eine Mischung aus Fadesse und Versicherung der eigenen Schlauheit transportiert, heute für alle zeitgenössischen Kunstvideos vor.

Startrampe
Wie auch immer: Kammerloch, die an der Wiener „Angewandten“ studierte, wurde für ihre Arbeit mit dem diesjährigen „Preis der Kunsthalle Wien“ ausgezeichnet, gemeinsam mit dem Maler und Zeichner Rawan Almukhtar, mit dem sie sich bis 20. April den Ausstellungsraum am Karlsplatz teilt. Diese Sichtbarkeit ist ein Aspekt des Preises, der als eine Art Startrampe für Absolventinnen und Absolventen der Wiener Kunstunis dient.

Was die diesjährige Schau über diese Funktion hinaus bestechend macht, ist die Art und Weise, wie die beiden Prämierten ihre persönlichen Geschichten auf künstlerische Weise mit großen Themen kurzschließen. In Almukhtars Fall geht es um eine Jugend im zerrütteten Irak und die daraus resultierende Fluchtgeschichte. Ein fotorealistisch gemaltes Bildnis des eigenen Bruders eröffnet eine Reihe von Gemälden, die Gruppen von Menschen in einen semi-abstrakten Schleier hüllt. Dass die Dargestellten Flüchtende sind, schließt man aus dem Kontext, die Eindeutigkeit geht verloren: während Medienbilder leicht als „Bilder des Elends“ schubladisiert werden, ist die Richtung dieser Bilder offen. Almukhtar, der an der Akademie der bildenden Künste studierte, setzt die Offenheit malerisch virtuos um.
Ausgangsmaterial vom Großvater
Kammerlochs Videos, die sie teils in seltsame Pseudo-Gerätschaften einbaut, haben ebenso einen persönlichen Ausgangpunkt: Der Großvater der Künstlerin war ein Wanderhändler, der zwischen China und Russland hin und her reiste und dabei Amateurvideos anfertigte. Sie sind der Kristallisationspunkt für Kammerlochs Erkundungen, die das Gewesene mit dem Heue kurzschließen. Wie entwickelte sich der russische Alltag nach dem Fall des Kommunismus? Wie sah Manchouli, die Grenzstadt, aus, bevor die chinesische Wirtschaft explodierte?
Es sind erhellende Erzählungen, die die beiden Prämierten hier in prägnante Formen bringen – Formen, die sich freilich irgendwann auch ohne den Anker der persönlichen Geschichte bewähren müssen.
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