Rosalía wurde kulturelle Aneignung vorgeworfen. Die spanische Roma-Bevölkerung, für die Flamenco eine der wenigen freien Ausdrucksformen ihres diskriminierten Volkes ist, bekrittelte, Rosalía nütze diese Kunstform, ihre Sprache und ihre Ikonografie für kommerzielle Zwecke aus. Die 30-Jährige hält dagegen, dass viele der berühmtesten Flamenco-Künstler keine Roma waren. „Paco de Lucia war der größte Gitarrist in diesem Stil und kein Roma“, erzählte sie dem britischen Guardian. „Es ist unglaublich wichtig, zu verstehen, was Flamenco für diese Volksgruppe bedeutet. Aber das tue ich. Ich habe diese Musik zehn Jahre lang studiert.“
Tatsächlich hat Rosalía sogar ein Flamenco-Diplom. Nachdem sie sich mit neun Jahren entschieden hatte, Musikerin zu werden, weil sie es liebte, Songs von Queen, Bob Dylan oder Bob Marley zu singen, wurde sie als Teenager jene eine Studentin, die das renommierte Catalonia College Of Music in Barcelona jedes Jahr in die Flamenco-Ausbildung aufnimmt.
„Ich hätte nicht zehn Jahre meines Lebens dem Flamenco gewidmet, wenn ich ihn nicht lieben würde“, sagt sie. „Ich hab den größten Respekt vor dieser Tradition. Aber je mehr ich erwachsen geworden bin, desto besser habe ich mich selbst kennengelernt. Und ich finde, dass es nicht so viel Spaß macht, Dinge auf orthodoxe Weise anzugehen. Freiheit hat für mich Priorität. Ich sehe Musik nicht in Genres unterteilt. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der sich so viele Kulturen mischen und gemeinschaftlich existieren.“
Dass sich die Musik von „Motomami“, ihrem dritten Album, ein wenig vom Flamenco ab- und mehr Reggaeton und Hip-Hop zugewandt hat, sagt sie, habe nichts mit der Diskussion um kulturelle Aneignung zu tun. Das sei nur die Musik, die sie als Teenager hörte – und dann während der Pandemie im Lockdown wieder.
Sie liebt aber auch Patti Smith („Die ist so clever und so ein Freigeist!“), Björk und James Blake. Und Industrial. Und Techno. Wenn sie zu Hause in Manresa nördlich von Barcelona ist, geht sie mit ihrem Freund, dem puerto-ricanischen Sänger Rauw Alejandro, auch heute immer noch in die Clubs in der Stadt tanzen, die sie als Teenager frequentierte. „Ich bin eine kreative Person und will alles, was ich liebe, in meine Songs einbringen. Die sind dann zwar radikal, aber ich kann nicht anders. Und offenbar gefällt das den Leuten.“
Auch in ihren Texten ist Rosalía manchmal radikal. Oft haben die Songs einen morbiden Touch, referenzieren den Tod. Und der offene Umgang mit der weiblichen Lust in „Hentai“ (Textzitat: „Ich will dich reiten wie ein Bike“) hat nicht wenige Fans schockiert – auch weil sie Erotik bisher aus ihren Texten herausgehalten hatte.
Die heftigen Reaktionen auf den Song haben Rosalía trotzdem gewundert: „Es gibt immer noch so viele Tabus, was die weibliche Sexualität betrifft“, erklärte sie dem Rolling Stone. „In der Weiblichkeit steckt aber eine erotische Überlegenheit. Warum also nicht einen Song machen, in dem du zugibst, was deine Gelüste sind? Bei den Alben vor ,Motomami` habe ich Erotik und Spiritualität aus den Songs rausgehalten. Aber jetzt wollte ich einfach ehrlich sein und offen sagen, was in meinem Leben vorgeht.“
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