Das Flüchtlingsdrama auf der Bühne

Eine Gruppe von Menschen steht auf einer Bühne, einige halten Papiere in der Hand.
Das Beliner Theatertreffen startet am Freitag mit dem Jelinek-Stück "Die Schutzbefohlenen".

Es geht um Krieg, Vertreibung und Traumata. Selten war das Berliner Theatertreffen so politisch und am Puls der Zeit. Zum Festivalstart am Freitag (1. Mai) erzählen Flüchtlinge aus Afrika von ihrem Schicksal. Die Zuschauer treffen in "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek auf Menschen, die Krieg, Vertreibung und Entwurzelung erlitten haben und jetzt auf ein neues Leben in Deutschland hoffen.

Nach der Vorstellung von Nicolas Stemanns am Thalia Theater Hamburg entstandener Inszenierung gibt es sogenannte Tischgespräche. Dabei gehe es um die Frage: Was können wir tun?, sagt Theatertreffen-Chefin Yvonne Büdenhölzer. "Die Zuschauer können hier mit Schauspielern, Flüchtlingen und Experten wie einer Anwältin oder Vertretern des Berliner Flüchtlingsrates ins Gespräch kommen."

Jelineks Stück "Die Schutzbefohlenen", in dem sich die Literaturnobelpreisträgerin auf Aischylos' antikes Drama "Die Schutzflehenden" bezieht, ist eine der zehn zum Theatertreffen eingeladenen Inszenierungen. Sie wurden von der Jury als "bemerkenswerteste" Arbeiten der Saison für die Leistungsschau der deutschsprachigen Bühnen ausgewählt. Zeitgenössische, teils experimentelle Werke mit politisch brisanten Themen dominieren das Festival. "Es gibt ein neues politisches Theater", sagt Büdenhölzer. "Die Theatermacher beschäftigen sich derzeit auf der Bühne sehr mit den aktuellen Ereignissen. Dabei werden auch immer wieder die Grenzen aufgezeigt, was Theater überhaupt leisten kann."

Zwei Stücke vom Burgtheater

Als einzigen Klassiker zeigt das 52. Theatertreffen (1. bis 17. Mai) Ibsens "John Gabriel Borkman", am Deutschen Schauspielhaus Hamburg von Karin Henkel mit Schauspielern wie Josef Ostendorf und Lina Beckmann inszeniert. Neben "Die Schutzbefohlenen" thematisieren drei weitere Stücke Krieg und Gewalt: "Frank Castorf hat seine Brecht-Inszenierung von "Baal" auf einen Kriegsschauplatz verlegt, nämlich nach Vietnam und Indochina", so die Festivalchefin. Castorfs "Baal" vom Münchner Residenztheater wird in Berlin zum definitiv letzten Mal zu sehen sein, nachdem die Brecht-Erbin die Inszenierung wegen des ihrer Ansicht nach zu massiven Eingriffs in den Originaltext gerichtlich stoppen ließ.

Zwei Frauen, mit Schlamm bedeckt, interagieren mit einem Mikrofon und einem Wasserschlauch.
APA20170334_07092014 - WIEN - ÖSTERREICH: Stefanie Reinsperger und Catrin Striebeck (R) am Donnerstag, 04. September 2014, während der Fotoprobe zu "Die lächerliche Finsternis" im Akademietheater in Wien. Das Stück hat am 06. September Premiere. FOTO: APA/GEORG HOCHMUTH
Yael Ronens "Common Ground" vom Berliner Gorki Theater erzählt von den Folgen des Balkan-Krieges. "Und in Wolfram Lotz' Stück "Die lächerliche Finsternis" geht es auch um die Kriegsthematik, um Bundeswehreinsätze und einen verrückten Oberstleutnant, der einen Kollegen ermordet hat", sagt Büdenhölzer. Die Inszenierung kommt vom Wiener Burgtheater im Akademietheater. Ebenfalls von dort stammt die Produktion "die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer (Regie: Robert Borgmann). Somit sind diesmal zwei Inszenierungen aus Österreich in Berlin zu sehen.

Aus knapp 380 Inszenierungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz wählte die Jury die Theatertreffen-Stücke aus. Großes Schauspielertheater verspricht Samuel Becketts " Warten auf Godot" (Regie Ivan Panteleev) mit Samuel Finzi und Wolfram Koch - eine Koproduktion vom Deutschen Theater Berlin mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Auch Schauspieler wie Bibiana Beglau, Sebastian Rudolph, Elisabeth Orth, Catrin Striebeck, Barbara Nüsse und Lina Beckmann sind beim Theatertreffen zu sehen.

Latexmasken

Ganz ohne Handlung und Figuren kommt Thom Luz' assoziatives Stück "Atlas der abgelegenen Inseln" (Schauspiel Hannover) nach dem Buch von Judith Schalansky aus. In Susanne Kennedys "Warum läuft Herr R. Amok?" (Münchner Kammerspiele) nach dem gleichnamigen Fassbinder-Film stecken die Schauspieler unter Latexmasken und bewegen die Lippen zum von Laien eingesprochenen Vollplayback. In "Das Fest" nach dem dänischen Film von Thomas Vinterberg untersucht das Schauspiel Stuttgart (Regie: Christopher Rüping) die "kleinste soziale Einheit, die Familie", so Theatertreffen-Leiterin Büdenhölzer.

Zwei Gewinner stehen bereits fest. Schauspielerin Corinna Harfouch wird mit dem Berliner Theaterpreis geehrt. Die von der Stiftung Preußische Seehandlung vergebene Auszeichnung ist mit 20.000 Euro dotiert. Der mit 10.000 Euro dotierte 3sat-Preis für eine besonders innovative Leistung geht an Lina Beckmann vom Deutschen Schauspielhaus Hamburg für ihre Rolle in "John Gabriel Borkman". Juror des Alfred-Kerr-Darstellerpreises für Nachwuchstalente ist der Schauspieler Samuel Finzi. Die mit 5.000 Euro dotierte Auszeichnung wird zum Festivalabschluss am 17. Mai vergeben.

(Von Elke Vogel/dpa)

INFO: www.berlinerfestspiele.de

"Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek

Regie Nicolas Stemann

Thalia Theater, Hamburg

"Baal" von Bertolt Brecht

Regie Frank Castorf

Residenztheater München

"Common Ground" von Yael Ronen und Ensemble

Regie Yael Ronen

Maxim Gorki Theater Berlin

"Das Fest" von Thomas Vinterberg und Mogens Rukov

Regie Christopher Rüping

Schauspiel Stuttgart

"Die lächerliche Finsternis" von Wolfram Lotz

Regie Dusan David Parizek

Burgtheater im Akademietheater Wien

"die unverheiratete" von Ewald Palmetshofer

Regie Robert Borgmann

Burgtheater im Akademietheater Wien

"John Gabriel Borkman" von Henrik Ibsen

Regie Karin Henkel

Deutsches Schauspielhaus, Hamburg

" Warten auf Godot" von Samuel Beckett

Regie Ivan Panteleev

Ruhrfestspiele Recklinghausen/Deutsches Theater Berlin

"Warum läuft Herr R. Amok?" nach Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler

Regie Susanne Kennedy

Münchner Kammerspiele

"Atlas der abgelegenen Inseln" von Judith Schalansky

Regie Thom Luz

Schauspiel Hannover

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