Es gibt keine klar auszumachende Handlung und auch keine festen Rollenzuweisungen, stattdessen entsteht ein vielstimmiges, durch Wiederholungen und wortgewandte Abwandlungen geprägtes, lyrisches Sprachkunstwerk. Eine mit Bravour gemeisterte Herausforderung für die Schauspieler Marie Nest, Karoline-Anni Reingraber, Jan Walter und Paul Winkler, die sich Textpassagen wie einen Ball zuwerfen oder im Chor einen rhythmischen Sog erzeugen.
„Patient Zero 1“ ist sowohl eine radikale als auch humorvolle Kampfansage gegen Stereotype, das Schweigen im Umgang mit HIV und den Tod selbst. Aids und Corona-Pandemie werden parallel geführt, Schuldfragen thematisiert und der Frage nachgegangen, wer Deutungshoheit im Kreieren von Narrativen und Rollenzuweisungen bekommt. Ein Pamphlet gegen Stigmatisierung, das den Fokus auf die „Unberührbaren, Unumarmten, Ungeküssten, …“ legt.
Die Inszenierung ist manchmal etwas zu aufdringlich, explizit provokant. Einige Formulierungen könnten pointierter sein, kippen stellenweise ins Derbe. Auch die Bewegungselemente überzeugen nicht immer. Doch wenn der oder die Tod, großartig verkörpert von Karoline-Anni Reingraber, selbst in eine Identitätskrise schlittert – nicht mehr als metaphysische Gewissheit, sondern als soziokulturelles Konzept –, entfaltet „Patient Zero 1“ seine größte Wirkung. Als die Partygäste den oder die Tod aussperren, bleibt ihm oder ihr nichts anderes übrig, als sich erstmal eine „Pizza Diavolo“ zu bestellen.
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