Die Frau in dir und mir

Ein Mann mit Tennisschläger und eine Frau stehen auf einem Tennisplatz.
Der Griff in den Kleiderkasten: Ein Cross-Over-Märchen von François Ozon. Weiters: Sexkomödie "Der kleine Tod", Jennifer Aniston in "Cake", Stermann & Grissemann in "Drei Eier im Glas", Sido in "Halbe Brüder", "Kaufhaus-Cop 2"

Mama ist tot und Papa ein Transvestit. Er zieht sich gerne Mamas Kleider an und setzt sich eine blonde Perücke auf. Für Baby ist das gut, dann kann es ruhig schlafen. Auch Papa geht es besser. Er fühlt sich der Verstorbenen näher.

Was nach den Zutaten eines abgründigen Dramas klingt, formt sich in den Händen des Gender-Allrounders François Ozon zu einem geschmeidigen Cross-Dressing-Märchen: Ein Witwer in Frauenkleidern nähert sich der besten Freundin seiner verstorbenen Frau an. Lose adaptiert von einer Ruth-Rendell-Geschichte, nimmt das Spiel mit den sexuellen Identitäten gewagtere Formen an, winkt Richtung Fassbinder und wildert in Almodovar-Land.

Visuell elegant und erzählerisch süffig spielt Ozon auf der Klaviatur des klassischen Hollywood-Melodrams und verfeinert es mit einem Hauch von Hitchcock. Doch bei dem offen schwulen Arthouse-Regisseur und – mit Filmen wie "8 Frauen" und "Unter dem Sand" – profilierten Frauenversteher geht es nie wirklich unter die Haut. Eher in den Kleiderkasten.

Eine Frau sein wollen, das heißt bei Ozon in erster Linie shoppen gehen.

Dass nichts so ist, wie es scheint, zelebriert Ozon gleich virtuos in den ersten Bildern seines Films: Eine schöne Frau wird geschminkt, ihre Lippen rot angemalt, ihr Teint mit Puder verfeinert. Kein Zweifel, es handelt sich um die Schmückung einer Braut. Erst als die Kamera zurück fährt, sieht man mit Entsetzen ihr Hochzeitsbett – den offenen Sarg.

Schöne Leiche

Die schöne Leiche heißt Laura und ist jung verstorben. An ihrem Grab schwört Claire, die beste Freundin, sich um Mann und Kind der Hinterbliebenen zu kümmern. Als Claire einen Überraschungsbesuch macht, sieht sie im Wohnzimmer den Rücken einer blonden Frau mit Baby. Als diese sich umdreht, fährt ihr der Schock in die Glieder: Es ist David, der Witwer, in den Kleidern der Toten.

Dass der Mann der verstorbenen Freundin ein Transvestit ist, findet Claire erst abstoßend, dann anziehend. Immer mehr Zeit verbringt sie mit ihrer "neuen Freundin Virginia", wie sie ihrem ahnungslosen Ehemann erklärt. Und fühlt sich zunehmend zu "ihr" hingezogen. Oder doch zu "ihm"?

Ozon legt seine Figuren nicht auf sexuelle Präferenzen wie hetero, homo, oder bi fest. Stattdessen entflammt er genüsslich das Begehren an Geschlechterinszenierungen jenseits des biologischen Körpers. David erklärt, er liebe Frauenkleider, sei aber nicht schwul. Claire wiederum hat plötzlich erotische Fantasien mit ihrer toten Freundin. Und stellt sich ihren eigenen Ehemann in den Armen Davids vor.

Unglaublich verführerisch und in exquisiter Ausstattung zeichnet Ozon ein Upper-Class-Milieu, in dem sich noch die tragischsten Probleme farblich mit ihrer Umgebung abstimmen. Einen wahren Coup landete er mit der Besetzung: Romain Duris oszilliert bestrickend zwischen David und Virginia, Anaïs Demoustier als Claire grundiert mit ihrem stoisch-schönen Gesicht die Liebesverwirrungen.

Eine tiefsitzende Analyse "queerer" Leidenschaften gelingt François Ozon aber nicht. Eher eine lustvolle Anbetung der Oberflächen. Aber die sind dafür blendend.

KURIER-Wertung:

INFO: "Eine neue Freundin". F 2014. 108 Min. Von François Ozon. Mit Romain Duris, Anaïs Demoustier.

Ein Mann und eine Frau sitzen an einem Tisch mit Getränken und einem Kuchen.
Romain Duris, Anaïs Demoustier
Eine junge Frau mit Zöpfen steht vor einem Haus, während eine andere Frau im Hintergrund verschwommen ist.
Anaïs Demoustier
 

Im Kino: "Eine neue Freundin"

Australische "Desperate Housewives" probieren "Fifty Shades of Grey" aus – das könnte eine Kürzestzusammenfassung dieses Episodenfilms über das ewige Thema Liebe, Sex & Leidenschaft sein. "Der kleine Tod" ist allerdings viel mehr als das.

Fünf Mittdreißiger-Pärchen arbeiten hinter Mittelschicht-Vorgärten an ihrem Liebesleben. Dazu gehören Rollenspiele, die sich verselbstständigen, Fetische, von denen sonst nur Sexualforscher gehört haben, und diverse Fantasien bis zur gespielten Vergewaltigung. Dass sich ein verurteilter Sexstrolch durch diese Szenerie bewegt, ist nur einer der vielen schrägen und hintergründigen Einfälle.

Der Schauspieler Josh Lawson inszeniert die überfrachtete Thematik in seinem Regiedebüt erstaunlich leichtfüßig, bei aller Tragik warmherzig und optimistisch und zeichnet mit wenigen Strichen einprägsame Charaktere.

KURIER-Wertung:

INFO: "Der kleine Tod". Tragikomödie. AUS 2014. 96 Min. Von Josh Lawson. Mit Josh Lawson, Bojana Novakovic, Damon Herriman.

Ein Mann im rot-weiß karierten Hemd küsst einen Fuß.
Paul lutscht am Beginn des Films an Maeves Zehen. Josh Lawson schrieb auch das Drehbuch und führte Regie.
Eine Frau in Polizeiuniform steht hinter Gittern und hält einen Schlagstock.
Rollenspiele in der Garage (Kate Mulvany): Was die Nachbarn nicht wissen sollen
Ein junger Mann gestikuliert vor einem Computer mit einer Iron Man-Puppe auf dem Schreibtisch.
Eine Frau mit Headset gestikuliert vor einem Computer.

Als Jennifer Aniston für ihre Rolle als Schmerzpatientin in "Cake" nicht Oscar-nominiert wurde, regten sich einige Leute darüber auf. Hatte doch der Ex-"Friends"-Star so überzeugend seine dramatischen Schauspiel-Qualitäten zur Schau gestellt und hingebungsvoll gelitten, geweint und geschrien.

Tatsächlich könnte man "Cake" als längeres Casting-Video durchgehen lassen – mit Schwerpunkt auf Drama. Dabei ist Aniston auch eine Meisterin des Sarkasmus: Diese Fähigkeit beweist sie gleich in der ersten Szene, wo sie aufgrund einer unangebrachten Äußerung aus einer Selbsthilfegruppe fliegt. Dabei könnte sie Hilfe gut gebrauchen. Ihr Gesicht ist vernarbt, ihre steifen Bewegungen erinnern an Herman Munster, Freunde hat sie keine. Wie es zu diesem tragischen Schicksal kam, enthüllt sich im Verlauf einer abstrusen Geschichte, in der sich Aniston mit dem Geist einer Selbstmörderin (Anna Kendrick) unterhält und deren hinterbliebene Familie heimsucht. Nur für eiserne Aniston-Fans geeignet.

KURIER-Wertung:

INFO: "Cake". Drama. USA 2015. 102 Min. Von Daniel Barnz. Mit Jennifer Aniston, Adriana Barraza, Anna Kendrick.

Jennifer Aniston weint und hält eine Hand auf ihre Brust.
Leidet überzeugend: Jennifer Aniston in „Cake“
Jennifer Aniston und eine ältere Frau in einer Szene aus der Serie „Griselda“.
Jennifer Aniston in „Cake“

Wie aufgeschlagene Eier schlittern Stermann-Grissemann-Strunk in ihrem zweiten Kinofilm durch ein tristes Wien. Als alterndes Werbe-Model (Dirk Stermann), als Reiseveranstalter mit Hang zu Orten des Grauens (Christoph Grissemann) und als trunksüchtiger Musiklehrer (Heinz Strunk). In dessen "Saxofonkurs für Singles" zusammengeführt, bilden die abgehalfterten Endvierziger eine skurrile Luxus-WG am Abgrund.

Das Kammerspielhafte von "Immer nie am Meer" wich einer detailreicheren Inszenierung. Selbst Nebenfiguren (Davis O. Nejo als Erzähler, Ingrid Burkhard als mörderische Mutter) sind liebevoll gezeichnet. Auch wenn sich Stermann & Grissemann im KURIER-Interview gegen die Zuschreibung Komödie wehrt: Fans werden genug zu lachen haben.

KURIER-Wertung:

INFO: "Drei Eier im Glas". Tragikomödie. Ö 2015. 90 Min. Von Antonin Svoboda. Mit Dirk Stermann, Christoph Grissemann, Heinz Strunk.

Drei Männer sitzen an einer Tischtennisplatte in einem eleganten Raum und essen.
Film: Drei Eier im Glas 2015 Mit Stermann & Grissemann, Heinz Strunk
Drei Männer duschen in einer gefliesten Dusche.
Wenn die Dusche im Fitness-Studio nur noch der Ort für weitere Demütigungen ist: Dirk Stermann als Werbe-Model in der Midlife Crisis (ab Freitag im Kino)

Halbe Brüder

Klamauk. Sido versucht sich als Schauspieler. In dem x-ten deutschen Roadmovie, das an einem Nordseestrand endet, spielt der Rapper einen abgebrannten Putzmittelvertreter. Beim Notar lernt er zwei weitere kaputte Typen kennen, die seine höchst unterschiedlichen Halbbrüder sein sollen. Die Suche nach Muttis Erbe – und somit nach den Vätern – führt durch halb Deutschland, zu seltsamen Promi-Gastauftritten, unmotivierter Action und derben Kalauern.(tem)

Jahrgang 45

Drama. Sommer 1965 in Ostberlin: Ein junges Paar lebt in Scheidung. Er, Alfred, driftet durch Berlin, bandelt mit einer Frau an, zieht zu seiner Mutter zurück. Der Spielfilm des Dokumentaristen Jürg Böttcher wurde von der DDR abgelehnt und kam erst 1990 in die Kinos. Eine Erinnerung an das Leben all jene, die in den 60er-Jahren jung waren – jetzt in restaurierter Fassung im Wiener Stadtkino.

Der Kaufhaus Cop 2

Komödie. Kevin James legt sich als Kaufhaus-Sicherheitsmann in Las Vegas mit Kriminellen an.

The Mulberry House

Doku. Die in Schottland lebende Regisseurin Sara Ishaq kehrt am Vorabend der Proteste im Jemen ins Haus ihres Vaters zurück.

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