Die Frau in dir und mir

Mama ist tot und Papa ein Transvestit. Er zieht sich gerne Mamas Kleider an und setzt sich eine blonde Perücke auf. Für Baby ist das gut, dann kann es ruhig schlafen. Auch Papa geht es besser. Er fühlt sich der Verstorbenen näher.
Was nach den Zutaten eines abgründigen Dramas klingt, formt sich in den Händen des Gender-Allrounders François Ozon zu einem geschmeidigen Cross-Dressing-Märchen: Ein Witwer in Frauenkleidern nähert sich der besten Freundin seiner verstorbenen Frau an. Lose adaptiert von einer Ruth-Rendell-Geschichte, nimmt das Spiel mit den sexuellen Identitäten gewagtere Formen an, winkt Richtung Fassbinder und wildert in Almodovar-Land.
Visuell elegant und erzählerisch süffig spielt Ozon auf der Klaviatur des klassischen Hollywood-Melodrams und verfeinert es mit einem Hauch von Hitchcock. Doch bei dem offen schwulen Arthouse-Regisseur und – mit Filmen wie "8 Frauen" und "Unter dem Sand" – profilierten Frauenversteher geht es nie wirklich unter die Haut. Eher in den Kleiderkasten.
Eine Frau sein wollen, das heißt bei Ozon in erster Linie shoppen gehen.
Dass nichts so ist, wie es scheint, zelebriert Ozon gleich virtuos in den ersten Bildern seines Films: Eine schöne Frau wird geschminkt, ihre Lippen rot angemalt, ihr Teint mit Puder verfeinert. Kein Zweifel, es handelt sich um die Schmückung einer Braut. Erst als die Kamera zurück fährt, sieht man mit Entsetzen ihr Hochzeitsbett – den offenen Sarg.
Schöne Leiche
Die schöne Leiche heißt Laura und ist jung verstorben. An ihrem Grab schwört Claire, die beste Freundin, sich um Mann und Kind der Hinterbliebenen zu kümmern. Als Claire einen Überraschungsbesuch macht, sieht sie im Wohnzimmer den Rücken einer blonden Frau mit Baby. Als diese sich umdreht, fährt ihr der Schock in die Glieder: Es ist David, der Witwer, in den Kleidern der Toten.
Dass der Mann der verstorbenen Freundin ein Transvestit ist, findet Claire erst abstoßend, dann anziehend. Immer mehr Zeit verbringt sie mit ihrer "neuen Freundin Virginia", wie sie ihrem ahnungslosen Ehemann erklärt. Und fühlt sich zunehmend zu "ihr" hingezogen. Oder doch zu "ihm"?
Ozon legt seine Figuren nicht auf sexuelle Präferenzen wie hetero, homo, oder bi fest. Stattdessen entflammt er genüsslich das Begehren an Geschlechterinszenierungen jenseits des biologischen Körpers. David erklärt, er liebe Frauenkleider, sei aber nicht schwul. Claire wiederum hat plötzlich erotische Fantasien mit ihrer toten Freundin. Und stellt sich ihren eigenen Ehemann in den Armen Davids vor.
Unglaublich verführerisch und in exquisiter Ausstattung zeichnet Ozon ein Upper-Class-Milieu, in dem sich noch die tragischsten Probleme farblich mit ihrer Umgebung abstimmen. Einen wahren Coup landete er mit der Besetzung: Romain Duris oszilliert bestrickend zwischen David und Virginia, Anaïs Demoustier als Claire grundiert mit ihrem stoisch-schönen Gesicht die Liebesverwirrungen.
Eine tiefsitzende Analyse "queerer" Leidenschaften gelingt François Ozon aber nicht. Eher eine lustvolle Anbetung der Oberflächen. Aber die sind dafür blendend.
KURIER-Wertung:
INFO: "Eine neue Freundin". F 2014. 108 Min. Von François Ozon. Mit Romain Duris, Anaïs Demoustier.


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