ÖNB-Chefin Johanna Rachinger: „Eine unglückliche Konstruktion“

Viele bunte Smarties: Generaldirektorin Johanna Rachinger (58) vor dem Plakat zum 650-Jahr-Jubiläum, das die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) heuer feiert
Johanna Rachinger, Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek, über Fehlentwicklungen beim Haus der Geschichte

KURIER: Sie geben dieser Tage gleich mehrere Interviews. Haben Sie Wichtiges mitzuteilen – etwa über die Zukunft des Hauses der Geschichte Österreich, das ja zur Österreichischen Nationalbibliothek gehört?

Johanna Rachinger: Ich muss Sie enttäuschen: Es geht mir „nur“ um das 650-Jahr-Jubiläum der ÖNB. Am Sonntag laden wir zum Open House ein. Das Programm ist sehr umfangreich, mit Backstage-Führungen wollen wir einen Einblick in unsere vielfältige Arbeit geben.

Warum macht sich die ÖNB eigentlich älter, als sie ist? Vor 650 Jahren wurde bloß eine Prachthandschrift mit den vier Evangelien fertiggestellt.

Es stimmt, es gibt keine Gründungsurkunde. Aber dieses Evangeliar des Johannes von Troppau wird schon seit Generationen als Gründungscodex der Bibliothek angesehen. Denn sie entstand im Auftrag des Habsburger-Herzogs Albrecht III.

Neuigkeiten zum HdGÖ gibt es keine? Direktorin Monika Sommer soll im April ein Treffen mit ÖVP-Kulturminister Gernot Blümel gehabt haben.

Es steht fest, dass es am 10. November in der Neuen Burg eröffnet werden wird – mit einer Sonderausstellung zu 100 Jahre Republik.

Das ist bekannt. Und danach?

Das HdGÖ ist im Bundesmuseengesetz verankert; wir gehen daher davon aus, dass es weitergeführt wird. Im Regierungsprogramm steht allerdings, dass es vom Konzept und vom Standort her evaluiert werden soll. Wie diese Evaluierung konkret ausschauen soll, wissen wir nicht. Aber wir brauchen recht bald eine Entscheidung, wie es nach der Eröffnung der Sonderausstellung weitergehen soll. Das hat Monika Sommer dem Kulturminister nochmals dargelegt.

Wie hat er reagiert?

Ich war nicht dabei, aber es gibt nach wie vor nur eine mündliche Zusage über eine Million Euro für 2019.

Daher ist auch noch nicht klar, ob das HdGÖ danach in der Neuen Burg bleiben wird?

Die Räumlichkeiten werden vom Kunsthistorischen Museum verwaltet – und wir sind Einmieter. Das ist eine unglückliche Konstruktion, die unter Bundesminister Thomas Drozda so entschieden wurde. Besser wäre es gewesen, wenn die Räume direkt der ÖNB zur Verfügung gestellt worden wären. Denn nach wie vor gibt es keine Nutzungsvereinbarung. Das KHM wünscht sich einen befristeten Vertrag, weil es die Räume selber nutzen will. Und wir bestehen auf einem unbefristeten Vertrag. Denn es wäre absurd, in die Einrichtung des HdGÖ 2,5 Millionen Euro zu stecken – für eine Laufzeit von zwei Jahren. Das wäre aus meiner Sicht eine Verschwendung von Steuergeld. Wenn man die kaufmännische Sorgfalt walten lässt, muss man auf einen unbefristeten Vertrag bestehen. Aber letztendlich wird es eine politische Entscheidung sein.

Monika Sommer äußerte sich kürzlich im KURIER-Interview nicht sehr begeistert von den Räumen und plädierte für einen Neubau. Was meinen Sie?

Ich verstehe ihre Argumente. Denn realisiert wird nicht das HdGÖ, das dem ehemaligen Kulturminister Josef Ostermayer vorgeschwebt ist, sondern eine abgespeckte Version. Zudem war ein für das Museum konzipierter Neubau die Vision vieler Beteiligter. Ich könnte ihn mir sehr gut als Leuchtturmprojekt des Herrn Minister Blümel vorstellen.

Sie kämpfen seit gut einem Jahrzehnt für einen Tiefspeicher unter dem Heldenplatz. Das Vorhaben wurde aufgrund der temporären Pavillons des Parlaments erneut verschoben. Nach dem Studium des ÖNB-Jahresberichts denkt man sich, dass er vielleicht gar nicht so groß geplant werden muss. Denn die Zahl der neuerworbenen Bücher sinkt permanent.

Das hat zum Teil damit zu tun, dass wir keine Diplomarbeiten mehr sammeln. Aber natürlich gibt es aufgrund digitaler Publikationen einen Rückgang an physischen Büchern. Deshalb denken wir an eine gemeinsame Lösung, denn auch die Universitätsbibliotheken haben Platzbedarf. Zudem würden wir den Speicher nur in Etappen einrichten. Dass wir ihn brauchen, steht aber außer Zweifel. Wir planen, uns zwischenzeitlich im Lager von „Art for Art“ in Haringsee einzumieten, um unsere Zuwächse unterzubringen. Man sollte sich aber schon jetzt konkret Gedanken machen, wie der Heldenplatz gestaltet werden soll, wenn das Parlament in etwa vier Jahren abziehen wird. Ich plädiere für die Einsetzung einer Arbeitsgruppe, die sich wirklich mit allen Aspekten des Platzes und seiner künftigen Funktionen auseinandersetzt.

Ostermayer ließ doch eine solche interministerielle Arbeitsgruppe gründen.

Sie hat sich aber nur ein einziges Mal getroffen.

Im Jahresbericht schreiben Sie: „Wesentliche Schwerpunkte in den strategischen Zielsetzungen waren die Vorbereitung der Umstellung auf das neue Bibliothekssystem ALMA, die Einrichtung eines zentralen digitalen Repositorys und der Start von Projekten zu Linked Open Data, Library Labs, der Plattform für Digitale Editionen und dem Crowdsourcing-Portal.“ Da steigen wohl viele Menschen aus.

Das sind eben unsere strategischen Ziele für die Periode 2017 bis 2021. Und das ist die Sprache im Bereich der Informationstechnologie. Wir agieren international – in Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken und Archiven. Um einen dieser Begriffe, Repository, zu erläutern: Derzeit gibt es innerhalb der ÖNB verschiedene Onlineportale, darunter ANNO und ALEX. In Zukunft sollen alle digitalen Inhalte – von Plakaten und Fotos bis zu den Zeitungen – über ein einziges Repository, eine Art „Lager“, zugänglich sein. Wir verbessern damit das Service für unsere Benutzerinnen und Benutzer.

Und was machen Sie im Bereich „Crowdsourcing“?

Wir haben zum Beispiel viele Luft-Aufnahmen aus den 1930er-Jahren, wissen aber zum Teil nicht, was auf diesen Fotos zu sehen ist. Dieser Bestand wird gerade digitalisiert. Wir werden die Öffentlichkeit einladen, bei der Beschreibung der Aufnahmen behilflich zu sein. Dadurch entsteht als Nebeneffekt hoffentlich eine noch intensivere Bindung zur ÖNB.

Auffallend ist auch, dass die Zahl der ausgegebenen Jahreskarten weiterhin steigt – obwohl die Zahl der entliehenen Objekte kontinuierlich sinkt.

Wir bieten ja mittlerweile sehr viele Inhalte digital an, darunter 20 Millionen Zeitungsseiten und alle 200.000 Bücher des Prunksaals. Diese Objekte müssen daher nicht mehr ausgehoben werden. Man kommt aber sehr gerne in unsere Lesesäle: Da kann man in Ruhe arbeiten – und ist trotzdem nicht allein.

Dieser Trend wird anhalten?

Ich hoffe es. Aber ich nehme an, dass es heuer zu einem leichten Rückgang der Jahreskarten kommen wird. Denn wir haben den Preis angehoben. Er war bisher mit 10 Euro äußerst günstig.

Und jetzt?

30 Euro. Das ist im internationalen Vergleich noch immer moderat. Man muss bedenken, dass wir die Serviceeinrichtungen und die Öffnungszeiten im letzten Jahrzehnt enorm verbessert haben. In Zeiten einer gedeckelten Basisabgeltung geht es nicht anders.

Die Bücher des Prunksaals wurden, wie Sie sagen, digitalisiert. Sind dabei Fehlbestände aufgefallen? Oder dass aus Prachtbänden wertvolle Illustration herausgetrennt wurden?

Nein. Die Digitalisierung hat – im positiven Sinn – mit sich gebracht, dass wir eine Bestandsrevision vornehmen konnten. Beschädigte Bücher wurden restauriert. Aber wir sind auf keine Diebstähle gestoßen. Sondern nur auf eingelegte Notizzettel oder gepresste Kleeblätter.

 

INFO: Open House

Die ÖNB lädt am Sonntag zu einem Blick hinter die Kulissen ein. Angeboten werden Führungen durch den Bücherspeicher und den Back-Office-Bereich sowie die Ausstellungen in den musealen Einrichtungen. Es gibt Workshops für Erwachsene  (über das Schreiben) und Rätselrallyes  für Kinder, Lesungen von Ulrike Beimpold, ein Gewinnspiel und auch ein „Meet & Greet“ mit der Generaldirektorin in ihrem beeindruckenden Büro. Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Bibliothek am Heldenplatz samt Papyrusmuseum von 10 bis 17 Uhr; Prunksaal, Literaturmuseum, Globen- und Esperantomuseum von 10 bis 18 Uhr.  

www.onb.ac.at

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