Nussknacker-Premiere: Zuckerguss mit Tücken
Vielleicht war’s einfach zu früh, war das Puzzle aus Solo- und Duett-Szenen mit Ensemblebildern à la 19. Jahrhundert samt vielen Kindern noch nicht stimmig zusammenzusetzen, war ein Regiebogen über das alt wirkende Bühnenbild ( Nicholas Georgiadis) aber nicht über die Interpretation erkennbar ... Vielleicht war die Generalprobe tags zuvor zu nah an der Premiere, das Corps de ballet wirkte ermattet. Im "Schneeflockenwalzer" hörte es sich an, als klatschte hinter der Bühne jemand laut das Tempo ein.
Viele Konjunktive um die "Nussknacker"-Premiere in der Einstudierung von Aleth Francillon und Manuel Legris, die nebst Zuckerguss die Tücken zeigt, wenn es um das Produzieren historischer Inszenierungen geht: Dieses Mal der "Nussknacker" (1985) von Nurejew. Rebellischen Charakter tragen die meisten seiner heiklen Inszenierungen. Opulenz in der Ästhetik, vor allem aber im Schrittmaterial lautete seine Devise. Nurejews Choreografien bestehen aus komplizierten, mitunter vertrackten Anforderungen an die Tänzer. Heute wirkt diese Herausforderung nahezu wie die Rache an der Nachkommenschaft. Denn kann einer die kleinteiligen Schritt- und Sprungkombinationen, hat er lange noch nicht Nurejews Tempo, seinen langen Atem und die Lust an der Beweisführung drauf, geschweige denn die Rolle interpretiert. Ein ewiges Lernprogramm.
Heikel
Außerdem Tschaikowskis "Nussknacker" szenisch: immer schon eine heikle Angelegenheit. Von Anfang an hat die Dramaturgie der Weihnachtsgeschichte nach E.T.A. Hoffmann um Clara (beständig: Liudmila Konovalova), die vom Onkel Drosselmeyer (bemüht: Vladimir Shishov) einen Nussknacker erhält, nicht so richtig funktioniert.
Die Story hinkte. Für den Erfolg sorgt(e) die Musik, die Premiere betreute Paul Connelly. Nurejew lässt den alternden Drosselmeyer zum heldenhaften Prinzen mutieren und suggeriert damit das Entfachen sexueller Triebe im Teenager Clara. Allerdings lässt sich dies auf der Bühne nicht wiederfinden.
Zwar fällt der Rattenkönig samt Mannschaft im Kampf gegen das berittene Nussknacker-Heer, und das Mädchen erschauert während dieses Traumzustandes ob der übermannsgroßen Puppen, die elterliche Züge tragen. Damit hat sich die symbolhafte Psycho-Dramatik auch schon, und es darf nach dem großen Pas de deux mit dem Erwachen Claras geendet werden. Drei weitere Besetzungen folgen; es wird wohl nachgearbeitet werden.
Kommentare