Nein, die Pandemie ist nicht vorbei – doch die Möglichkeit, gemeinsam abzushaken und nicht mehr nur alleine fürs Tiktok-Publikum vor einer Kamera zu tanzen, besteht wieder, bald – wohl oder übel – auch ohne Quarantäne-Auflagen. Abseits der Clubs lohnt es aber auch, darüber nachzudenken, was mit uns als Gesellschaft passiert, wenn keine Möglichkeit zum Tanzen besteht: Fehlt da nur Unterhaltungsprogramm – oder mehr?
Die Ausstellung „No Dancing Allowed“ im Freiraum des Wiener MuseumsQuartiers (bis 20. 11.) in diesem Sinn topaktuell: Sie spürt den Auswirkungen der Lockdowns auf die tanzende Seele nach.
Der stark auf Videos bauende Parcours ist eine Fortsetzung der Schau „Dance of Urgency“, in der Kurator Bogomir Doringer bereits 2019 politische Potenziale der Clubkultur erforschte. Wenig später lagen die Clubs darnieder, Tänzer und DJs fanden sich in Lockdowns wieder. Doch Tanzen blieb ein verbindendes Element, wie nicht nur die „Jerusalema Challenge“ (wer erinnert sich noch?) bewies.
Tiktok-Performances
Die Verlagerung auf soziale Medien fängt Kurator Doringer in der Schau mit einigen Beispielvideos ein: von Popstar Britney Spears, die Fans ihren Widerstand gegen die später gerichtlich aufgehobene Vormundschaft mit einem Ausdruckstanz mitteilte, bis zu Breakdancern in Corona-Schutzkleidung reicht die Palette. Im Kern geht es aber um die Frage, ob das Befreiungspotenzial des Tanzes auch abseits der Club-Biotope überlebensfähig ist. Einiges spricht dafür: Wenn etwa Mitglieder des „Colectivo LASTESIS“ in einem Social-Media-Video zum harten Beat gegen Gewalt an Frauen demonstrieren und dabei die Schuldumkehr anprangern („Ich bin nicht schuld, weil ich einen Minirock anhatte, der Vergewaltiger bist du!“), hat das gehörige Wucht.
Das Thema des Tanzverbots würde freilich eine ganze kulturhistorische Erkundung lohnen, doch so weit geht die Ausstellung nicht: Allein Jeremy Dellers Erkundung der britischen Rave-Szene der 1980er ist als historischer Anker ausgelegt. Interessanterweise genoss das Partyvolk in jener Zeit überraschend viel Rückhalt bei der älteren Bevölkerung – die Kriegsgeneration konnte den Widerstand der Raver gegen den Zwang zu Zucht und Ordnung nachfühlen.
Heute steht digitale Überwachung der Bewegungsfreiheit entgegen: Zusätzlich zu Gesichts-Scans ist die Erfassung von Bewegungsmustern auf dem Vormarsch. Die Arbeit „Choreographic Camouflage“ von Liam Young, die Tänzer in schwer kategorisierbaren Posen ablichtet, zeigt hier das widerständige Potenzial unvorhergesehener Bewegungen (Monty Python hatten dies in ihrem Sketch „Ministry of Silly Walks“ vorweggenommen.)
Dass Ausgelassenheit nicht als selbstverständlich hingenommen werden darf, zeigt auch noch Anton Shebetko in seiner Reihe von rund 100 Videoporträts, die er 2021 beim „Brave Festival“ in Kiew aufnahm. Junge Leute, teils in Raverklamotten, schauen da einfach still in die Kamera. Im Kriegsjahr 2022 wäre das Festival in einer Industriebrache in Kiew freilich undenkbar. Shebetko sagt, er wisse selbst nicht, was aus den Partygängern von 2021 geworden ist.
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