Neuer Film "Der Streik" über den „Widerstand der Ausgenützten“
Dieser Mann ist ein Vulkan: Wenn der französische Regisseur Stéphane Brizé sich richtig in Rage redet, meint man eher einem altlinken Politiker als einem Filmregisseur gegenüber zu sitzen.
Der gelernte Tontechniker aus Rennes kultiviert in seinen Filmen die Figur des unermüdlichen Kämpfers aus dem Arbeitermilieu. Des Underdogs, der sich nach einem besseren Leben sehnt, aber nicht machtvoll genug ist, seine Wünsche in die Realität umsetzen soll.
Einen kongenialen Mitstreiter für seine filmischen Plädoyers für mehr soziale Gerechtigkeit und Respekt hat Brizé in Vincent Lindon gefunden, der quasi sein filmisches Alter Ego ist: Lindon spielte die Hauptrolle in „Der letzte Frühling“, in „Mademoiselle Chambon“ und in „La loi du marché“, für den er 2015 für seine Darstellung eines Langzeitarbeitslosen den Darstellerpreis in Cannes erhielt.
„Brutalität der Welt“
Jetzt mutiert Lindon in Brizés Filmdrama „Streik“ zum charismatischen Arbeiterführer, der sich mit aller Kraft gegen die willkürliche Schließung eines Autozulieferwerks in der französischen Provinz zur Wehr setzt.
„Das, was ich hier zeige, ist Widerstand. Den Widerstand der Ausgenützten, oder besser: den Versuch ihres Widerstands“, sagt Brizé im KURIER-Gespräch. „Die Arbeiter im Perrin-Werk in Agen sind entschlossen, bis zuletzt um ihre Existenz zu kämpfen. Ich setze nur die Brutalität der Welt in Szene. Die Brutalität des heutigen Finanz-Liberalismus ist schlimmer als jeder Arbeitskampf.“
KURIER: Liegt dem Film der Fall einer echten Fabrikschließung zugrunde?
Stéphane Brizé: Wenn Sie Zeit haben bis Mitternacht, dann arbeite ich mit Ihnen die Liste der Firmen, die in Frankreich in den letzten Jahren geschlossen wurden, ab. Jeden Tag – überall in Europa – werden Firmen einfach so zugesperrt. Das sind die Mechanismen der Mächtigen. Sie schließen eine Firma aus strategischen Gründen, einfach, weil es woanders billiger ist. Die Firma, um die es in „Streik“ geht, ist ja rentabel, sie ist in keiner Krise. An ihr hängen 1100 Familien, mit den Angehörigen 3000 Menschen. Wenn die zumacht, dann ist das für die Region eine Tragödie.
Der Ton wird im Allgemeinen immer rauer, die Spannungen in der Gesellschaft nehmen zu. Die, die sich abgehängt fühlen, werden sich auf Dauer nicht ruhig stellen lassen, oder?
Die Menschen haben Angst. Die, die jetzt seit Monaten in gelben Westen auf den Straßen Frankreichs sind, sind keine Armen. Es sind jene, die fürchten, bald arm zu werden. Sie sagen sich: Ich verdiene 2000 oder 2300 Euro im Monat, ich habe zwei, drei Kinder und ich komme halbwegs durch mit meinem Geld. Aber mein Gehalt hat sich in den letzten Jahren nur so geringfügig erhöht, dass ich keine Reserven mehr habe, wenn etwas passiert. Während die Reichen sagenhafte Renditen mit ihrem Geld einfahren, bleibt mir kaum was. Ich verliere meine Würde. Und da kommt jetzt das Temperament der Franzosen ins Spiel. Sie sind impulsiv und ungeduldig. Sie halten mit ihrem Zorn nicht hinter dem Berg, schreien ihn hinaus.
Haben Sie eine Erklärung für die in Europa trotzdem fast durchgehende Schwäche der Linken?
Ich kann nur für Frankreich sprechen. Bei uns hat der Abstieg der Linken mit der Verbourgeoisierung der sozialistischen Politiker an der Macht begonnen. Man hat sich dort gemütlich eingerichtet, sich arrangiert. Hat hier eine Konzession gemacht und dort Privilegien in Anspruch genommen, gegen die man zuvor noch gewettert hatte. Und natürlich immer sein eigenes Fortkommen nach der Politkarriere im Auge behalten. Das Kapital hat das Gewissen der Linken löchrig gemacht.
Der Film ist in Frankreich sehr erfolgreich gelaufen, aber ein Umdenken in der Politik ist völlig undenkbar. Wurmt Sie das?
Es wäre naiv zu glauben, dass ich mit einem Film etwas verändern kann. Für mich ist „Streik“ wie eine Taschenlampe, die eine finstere Straße ein wenig beleuchten soll. Ich kann nichts und niemanden erhellen, aber wenn ich nur einen einzigen Menschen von meiner kritischen Haltung überzeugen kann, dann bin ich schon zufrieden.
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