Musikverein: "Die Winterreise" als Gothic-Trip und Psycho-Thriller

Daniil Trifonov am Klavier mit Bariton Matthias Goerne.
Der Bariton Matthias Goerne und der Pianist Daniil Trifonov verstören mit Franz Schuberts Liederzyklen.

Einem der aufregendsten Interpreten von Franz Schuberts Liedern, dem Bariton Matthias Goerne, widmet der Musikverein einen Schwerpunkt. Mit dem Pianisten Daniil Trifonov führte er an zwei Abenden die Liederzyklen „Winterreise“ und „Die schöne Müllerin“ auf. Heute folgt „Der Schwanengesang“.

Goerne übertrifft seinen Ruf trotz schwerer Erkältung – die Taschentücher liegen im Klavier bereit und werden ausführlich genutzt. Davon nimmt aber die Interpretation keinen Schaden. Denn Goerne lebt vor, was er singt.

Was heißt singt? In absoluter Wortdeutlichkeit changiert sein Vortrag zwischen bedrohlichem Flüstern und Sprechen, bei manchen Versen schwingt er seine kraftvolle Stimme dramatisch opernhaft auf. Das Spektrum, das dieser Bariton von dämonischem Falsett bis zu tiefsten Basstönen abdeckt, scheint keine Grenzen zu kennen.

Das gilt auch für seinen Partner. Trifonov lässt Wilhelm Müllers Verse im besten Wortsinn zu Tönen werden. Bei „Erstarrung“ lässt er psychodelische Klänge in dumpfen Donner übergehen. Eine trügerische Idylle zaubert er um den „Lindenbaum“. Wie in Zeitlupe zelebriert er den Weg des lyrischen Ichs („Das Wirtshaus“). Die Endstation beim „Leiermann“ lassen Sänger und Pianist zum schaurig schönen Gothic Trip werden.

Seelenschmerz

Goerne hatte 2014 mit Markus Hinterhäuser, dem Pianisten und Intendanten der Salzburger Festspiele, mit der von William Kentridge illustrierten „Winterreise“ neue Maßstäbe bei Schubert gesetzt. Wer deren „Müllerin“ 2021 in Salzburg gehört hat, wird nie vergessen, wie Hinterhäuser am Klavier sublim Seelenschmerz in Töne fasste. Mit seinem aktuellen Partner generiert Goerne einen filmreifen Psycho-Thriller. Pianist und Sänger schaukeln sich ständig in ihren Emotionen hoch. Ausgelassen tobt sich Trifonov an den Tasten aus, reißt den Sänger mit Rasanz mit. Herb-frohes Staccato, nervöses Vibrieren, alles in ständiger Steigerung. Man spürt, wie dieses Ich sich seinem Wahn hingibt. Dann der Wandel am Ende: Trifonov schlägt mit Bedacht jeden Ton an, und Goerne intoniert verstörend gefasst das „Gute Nacht“, als würde er sich immer weiter entfernen.

Superb! Ovationen.

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