Musikfreunde feiern 200 Jahre
200 Jahre Gesellschaft der Musikfreunde in Wien. Was gab es in dieser Zeit nicht alles an Ereignissen, an großen und kleinen, aufregenden und letztendlich doch belanglosen Details, die große Wirkung haben sollten.
Die Gründung war einer Frau zu verdanken. Fanny von Arnstein, schöngeistige Gattin eines Bankiers und Tante Felix Mendelssohn Bartholdys, hat im Frühjahr 1812 angeregt, die zahlreichen Musikdilettanten Wiens in einer Gesellschaft zu organisieren und ihre Fähigkeiten für das öffentliche Musikleben zu nützen. Sie begeisterte den Hoftheatersekretär (und Textdichter von Beethovens „Fidelio“) Joseph Sonnleithner von der Idee, der machte sich daran, einen "Dilettantenverein" zu gründen, um ihm schon in den ersten Statuten den Namen "Gesellschaft der Musikfreunde" und mehr Aufgaben zu geben: Er sollte sich "der Emporbringung der Musik in allen ihren Zweigen" widmen, also um alles kümmern, was Musik betrifft.
Kunst aus Liebe
Dilettanten: Heute ein abwertender Begriff. Damals stellte man sie über den Mann (oder die Frau) "von Profession". Denn, meinte man, wer sich einer Kunst aus Liebe widmet, leistet für diese mehr, als wer dies aus Lebensnotwendigkeiten macht.
Heute sind im Musikverein Künstler aus aller Welt daheim. Im 19. Jahrhundert zeigte man auf andere Weise Internationalität. Man baute die erste Musikbibliothek
Europas auf und sammelte Autografe, Erstausgaben, Bücher, Instrumente, Bilder… Aus allen Teilen Europas, später auch aus Übersee. Was so entstand, ist einzigartig: Archiv, Bibliothek und Sammlungen der Gesellschaft der Musikfreunde in
Wien. – Weit mehr als eine Bibliothek oder ein Archiv, sondern Wiens musikalische Schatzkammer schlechthin.
Großmeister unter den Komponisten gingen hier ein und aus. Beethoven war Ehrenmitglied, obwohl er einen Kompositionsauftrag (samt Honorar) angenommen, aber nie das Werk abgeliefert hat. Schubert spielte im Orchester die Bratsche und war schließlich Direktionsmitglied. Chopin und Mendelssohn hinterließen hier ihre Spuren. Brahms war Konzertdirektor und Direktionsmitglied, Bruckner Professor am Konservatorium, Mahler, Hugo Wolf, Janáček, Zemlinsky und Franz Schreker waren Konservatoriums-Schüler, aber auch Fritz Kreisler und Robert Stolz. Alban Berg war Stehplatzbesucher, bis er einen Platz in einer Loge erhielt, Gottfried von Einem Direktionsmitglied. Heute gibt es viele Kompositionsaufträge, die von den Komponisten angenommen – und ausgeführt werden.
Höhen und Tiefen
Man erlebte nicht nur Höhepunkte in der 200-jährigen Geschichte der Gesellschaft, sondern auch Tiefpunkte, nämlich die Jahre 1848 und 1938. 1848 unterstützte die Gesellschaft, allen voran ihr hochadeliger Präsident, die demokratischen und sozialen Ziele der Revolution. Auch dann noch, als dies nicht mehr opportun schien. Die Folge waren größte finanzielle und politische Schwierigkeiten. 1938 wurden Präsidium, Direktion und Generalsekretär ihrer Funktion enthoben und ein unter gleich bleibendem Namen neu geschaffenes Gebilde der NS-Diktatur einer Berliner Organisation unterstellt. Der Einzige aus der Direktion, der schriftlich dagegen protestiert hat (in ihr allerdings auch der einzige Ausländer), war Antony van Hoboken, der Verfasser des Hoboken-Verzeichnisses für Haydn.
Ein anderes Beispiel für Zivilcourage hat Heinrich Kraus, später Direktor des Theaters in der Josefstadt, gesetzt: Als 1945 während des Kampfes um Wien eine russische Granate in den Großen Saal einschlug und ohne zu explodieren auf der Pedalklaviatur der Orgel liegen blieb, trug er sie eigenhändig aus dem Gebäude. Eigentlich war er hingekommen, um zu sehen, ob der Musikverein trotz der rundherum tobenden Kampfhandlungen noch steht …
Ja, die von den Wienern immer kurz und liebevoll "Musikverein" genannten Gebäude der immer noch privat und unabhängig agierenden Gesellschaft: Das alte in den Tuchlauben, 1831 eröffnet. Das neue zwischen Karlsplatz und Ring, 1870 eröffnet, 1911 aufgrund feuerpolizeilicher Vorschriften etwas umgebaut, mit viel Einsatz gepflegt, restauriert und erhalten, aber auch mit den 2004 eröffneten vier unterirdischen Neuen Sälen für das 21. Jahrhundert fit gemacht.
"Das Jubiläum bedeutet auch eine Zäsur", sagt Thomas Angyan, seit 1988 Intendant der Gesellschaft der Musikfreunde. "Man blickt zurück. Aber man muss unbedingt auch nach vorne blicken."
Nach vorne: Damit sind etwa die vielen Kinder- und Jugendaktivitäten im Musikverein gemeint. Insgesamt 48.400 Nachwuchshörer kamen zuletzt in einer Saison zu den 218 Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche.
Nach vorne: Das repräsentieren auch die Neuen Säle, in denen die Musikverein-Programme erweitert werden, ohne die Erwartungshaltung des traditionellen Publikums zu beeinträchtigen. Angyan: "Das ist eine Ergänzung, und kein Anstatt."
Nach vorne: Das sind für Angyan auch die zahlreichen Kompositionsaufträge (mehr als 75 in seiner Amtszeit). Diesen Blick auf die Zukunft wolle er "weiter fokussieren". Dabei aber seiner Maxime treu bleiben: "Man kann nur mit höchster Qualität reüssieren."
Hunderte Musiker
Der Festakt im Musikverein wird am Donnerstag von Nikolaus Harnoncourt (am Pult des Concentus Musicus) dirigiert. Er bringt Händels "Timotheus" (von Mozart bearbeitet) zur Aufführung – jenes Werk, das beim Gründungsakt vor exakt 200 Jahren in der Winterreitschule der Hofburg von 600 Mitwirkenden gespielt wurde. Diesmal sind 80 Musiker, Solisten und 120 Choristen am Werk.
Warum die Wahl auf Harnoncourt fiel? "Er ist das Original des Originalklangs", sagt Angyan, der auch glaubt, dass das Konzert der Zukunft in etwa dem entsprechen wird, was Harnoncourt macht: nämlich die gespielten Stücke auch zu erklären. "Man lernt so ein anderes Hören."
Bei aller Freude über das Jubiläum sagt Angyan auch: "Man hat manchmal das Gefühl, dass der Stellenwert der Musik in diesem Land noch immer nicht in den Köpfen vieler Politiker angekommen ist". Die Umbenennung der Dumba-Straße in Musikvereins-Platz sei immerhin eine schöne Würdigung gewesen.
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