Musikalisch wie auch szenisch ein Ereignis

Marlis Petersen als Lulu
Kritik: Alban Bergs "Lulu" an der Bayerischen Staatsoper München – brillant.

Und wieder einmal zeigt die Bayerische Staatsoper, dass der musikalische und der theatralische Bereich bei einer Neuproduktion gleichrangig nebeneinander stehen können. Diesmal auf dem Programm: Alban Bergs "Lulu" in der von Friedrich Cerha vervollständigten Fassung. Die Premiere geriet am Pfingstmontag zum Triumph, das Publikum jubelte (ein paar Buhs gegen das Regieteam gehören ja zum guten Ton) – und man bedauert sehr, dass dieses Werk in Wien seit gefühlten Ewigkeiten nicht gespielt wurde. Noch dazu, da man die meisten Protagonisten in Wien bestens kennt.

Blutige Nase

Marlis Petersen singt die Titelpartie mit Intensität, Sicherheit in allen Lagen, dramatischen Ausbrüchen, dann wieder zart und zerbrechlich. Sie spielt die Lulu und ihre tragische Reise von der unwiderstehlichen Verführerin bis zur Prostituierten in der Gosse aber auch aufopfernd, wälzt sich am Boden und schlägt sich einmal sogar an einer Glaswand die Nase blutig. Selbstverständlich macht sie in diesem Moment weiter und spielt, als wäre das Teil der Regie.

Bo Skovhus ist Dr. Schön und Jack the Ripper – eine Idealbesetzung. Er singt und spielt mit einer Hingabe, als gäbe es kein Morgen. Martin Winkler ist ein grandioser Athlet und Tierbändiger, Rainer Trost ein famoser Maler und Neger, Matthias Klink singt die komplexe Partie des Alwa sehr tapfer. Daniela Sindram als Gräfin Geschwitz besticht mit wunderschönem Mezzo. Am Pult des exzellenten Orchesters brilliert Münchens Musikchef Kirill Petrenko: Er bringt all die genialen Berg’schen Facetten zum Klingen, analysiert die mathematische Bauweise der Partitur samt Leitmotivik und historischer Zitate wunderbar, gibt sich dann aber in den Zwischenmusiken auch dem Klangrausch hin. Eine überzeugende Lesart zwischen Sinnlichkeit und Intellektualismus.

Labyrinth aus Glas

Regisseur Dmitri Tcherniakov hat ein aus Glaswänden bestehendes Labyrinth auf die Bühne gebaut, um die Ausweglosigkeit zu zeigen, schafft es damit aber auch, die jeweilige Rolle der Protagonisten in der Gesellschaft zu spiegeln. Fabelhaft geführte Statisten doppeln und interpretieren hinter Glas die jeweiligen Aktionen.

Wer sich auf diese kalte, klar strukturierte Inszenierung einlässt, wird über viele kluge Details staunen. Das ist Weiterführung von Zwölftonmusik mit szenischen Mitteln.

KURIER-Wertung:

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