"Nozze di Figaro" an der Volksoper: Almaviva als "alter, weißer Mann" in einer Sitcom

Eine Komödie über Sex und Macht – als das zeigt Hausherrin Lotte de Beer ab Samstag an der Volksoper Mozarts „Le nozze di Figaro“. Das waren zuletzt – siehe #MeToo – durchaus viel diskutierte Themen.
Daniel Schmutzhard singt den Almaviva – und für den bleibt in dieser Debattenkonstellation wohl nur die Rolle des sprichwörtlichen „alten weißen Mannes“, oder? „Ganz genau“, sagt der Bariton mit einem Lächeln im KURIER-Gespräch.
Besetzung
Lotte de Beer führt Regie, Omer Meir Wellber dirigiert. Es singen Daniel Schmutzhard (Il conte d´Almaviva), Matilda Sterby (La contessa d´Almaviva), Lauren Urquhart (Susanna), Michael Arivony (Figaro), Annelie Sophie Müller (Cherubino), Ulrike Steinsky (Marcellina)
Premiere
von "Le nozze di Figaro" ist am kommenden Samstag an der Volksoper Wien.
KURIER: Der Graf ist am Anfang auch bei Mozart übergriffig, machtmissbrauchend – aber er entwickelt sich. Hier auch?
Daniel Schmutzhard: Es wurde eine schöne Möglichkeit gefunden, wie der Almaviva am Anfang dieser alte, weiße Mann sein darf: Wir spielen den ersten Akt als eine Sitcom der 80er-Jahre. Da war ja alles erlaubt, man durfte blöde Witze über Frauen machen und vor dem Fernseher haben alle darüber gelacht.
Etwa bei Al Bundy in „Eine schrecklich nette Familie“.
Der Mann durfte alles. Und man hat überhaupt nicht darüber nachgedacht. Und dann ändern wir die Perspektive von Akt zu Akt: auf Susannas im zweiten Akt, da werden die Grenzen dieser Sitcom gesprengt. Auf die Perspektive der Gräfin im dritten Akt. Und im vierten Akt gibt es die Perspektive der Jungen, die zeigt: Es braucht diese Machtstrukturen gar nicht, es löst sich alles in Gleichberechtigung auf. Da gibt es dann viel Liebe und Blumen auf der Bühne.

Almaviva wandelt sich aber wohl nicht freiwillig?
Der hat genauso einen einschneidenden Wandel erlebt wie die 80er-Jahre-Generation der Männer, die ihr ganzes Leben tun und machen konnten, was sie wollten. Auf einmal stehen sie vor diesem Umbruch und es heißt, nein, ist nicht okay, wenn du deiner Sekretärin auf den Arsch greifst. Es ist nicht okay, wenn du andauernd anzügliche Bemerkungen über die Brüste deiner Kollegin machst. Diesen Brückenschlag zu Mozart finde ich eine intelligente und schöne Verbindung zwischen den Zeitaltern der Macht.
So allgemein kann man nicht sagen, dass wir Männer mit diesem Umbruch immer souverän umgegangen sind.
Nicht ausnahmslos, nein (lacht). Aber das ist ja auch klar. Wenn Leuten etwas weggenommen wird, was sie als gegeben erachten, ist es immer schwierig. Wer gibt schon gern seine „Rechte“ auf? Aber der Graf muss damit umgehen, im dritten Akt ist er schon ein ganz anderer, nicht mehr dieser joviale, ständig lachende. Da geht es für ihn wirklich ans Eingemachte.
Das ist bei Mozart ja alles angelegt.
Ich finde das absolut legitim. Und ich kann damit auch mehr anfangen, als wenn da alle in historischen Kostümen herumhüpfen. Kunst muss lebendig bleiben. Sie darf nicht wie eine DVD sein, die man sich einlegt, wenn man in Nostalgie schwelgen möchte.

Komödien sind, scheint mir, seit der Pandemie wieder mehr gefragt, oder?
Ich würde nicht sagen, dass die Leute nur mehr unterhalten werden möchten. Aber wenn man die politische Weltlage betrachtet, dann verstehe ich auch, dass man lieber mal lacht als schon wieder an schlechte Zeiten erinnert zu werden. Dennoch: Im Angesicht des Rechtspopulismus, all dieser Entwicklungen, denen wir im Moment ausgesetzt sind, ist es unfassbar wichtig, dass wir uns auch mit den dunklen Kapiteln weiterhin beschäftigen. Wenn wir die Vergangenheit vergessen, wird sie sich irgendwann wiederholen. Und insofern finde ich: Theater muss nicht nur eine Wohlfühlzone sein. Da können wir gleich zuhause bleiben und Netflix-Serien schauen, bis wir bewusstlos vom Sessel fallen. Theater muss uns auch den Spiegel vorhalten.
Wobei der Gegenwind, den politische Kunst und sich politisch äußerende Künstler erleben, brutal ist.
Ja, es ist anstrengend. Aber man muss auch lernen, wie man sich in den Sozialen Medien verhält. Das würde ich mir auch von den Menschen wünschen, die so etwas posten. Es herrscht eine Rauheit im Ton von Leuten, die mir das persönlich auf der Straße so nie sagen würden. Das ist eine unheimliche Verrohung der Gesellschaft.
Die Kultur galt mal als eine Schule der Empathie. Zählt das noch etwas?
Ich hoffe es. Wir können auf der Bühne Schönheit präsentieren. Wir können zum Nachdenken anregen. Aber es muss natürlich jeder Mensch auch mit einer Bereitschaft zur Empathie, zum Aufnehmen von Gefühlen erstmal in die Oper kommen. Oder woanders hin: Das kann man auch aus einem Rockkonzert oder einem Gemälde mitnehmen. Es muss nicht nur die Oper sein.
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