Ein Rückblick als Ausblick auf die Zukunft der Kirche

Pastoraltheologe und Religionssoziologe Paul Michael Zulehner, 80
Wer ist eigentlich schuld daran, dass man bei der Autobiografie eines Priesters gleich wissen will, wie er es mit der Sexualität hält? Die Medien, die so viel über die innerkirchliche Diskussion berichten, oder doch die Kirche selbst, die ständig Regeln für das Sexualleben postuliert und Pfarrer wie Gläubige regelmäßig in Gewissensnöte bringt? Der streitbare Theologe Paul Zulehner zeigt schon im Inhaltsverzeichnis seiner Erinnerungen, dass er etwas zu dem Thema zu sagen hat.
Also sei entschuldigt, wer die Kapitel "Männerfreundschaften" und "Frauenfreundschaften" zuerst liest. Wer hier ehrlich Auskunft gibt, wird auch bei anderen Themen offen sein, darf man doch erwarten.
Zulehner schreibt über Eros und Sexualität sehr persönlich und doch unpeinlich , sein Buch "Mitgift" ist schon deshalb lesenswert. Man versteht die Nöte eines Mannes, der für Gott und mit einem geliebten Menschen leben will. Er selbst stellt die Frage, warum die Kirche Priester in eine solche Lage bringt. "Das wird sich nicht mehr lange halten können", so der Pastoraltheologe.
Hirten ohne Angst
Pastor ist der Hirte, die Pastoraltheologie erforscht, wie Gläubige in Liturgie und Seelsorge begleitet werden. Als Kaplan hat Zulehner praktische Erfahrung gemacht, als Professor hat er darüber gelehrt, als Dekan Einfluss auf die Kirche gehabt.

Das alles spielt in der "Autobiografie anderer Art" eine Rolle, vor allem aber erzählt Zulehner über sein Leben, seinen Glauben und Entwicklungen in der Kirche, die er beobachtet und mitbestimmt hat. Und dann geht es darum, wie sich Glaube und Religiosität in der "nach-christentümlichen Gesellschaft", wie Zulehner es nennt, entwickeln werden.
Für jemanden, dem Religion fremd und die Kirche ein Ärgernis ist, kann das Buch lehrreich sein,weil Zulehner Einblicke in eine Organisation gibt, die oft mehr leistet, als sie zu zeigen imstande ist. Dogmen und Eifersüchteleien sind zu stark. Für Gläubige kann das Buch tröstend sein, weil Zweifeln zum Glauben gehört und das Verbreiten von Angst und Schrecken durch die katholische Kirche relativiert wird. "Die großen Religionen der Welt verbinden die gläubige Ahnung und das Vertrauen auf einen Gott des Erbarmens." Das klingt schon anders als die Drohung mit der Hölle.
KURIER-Wertung: Man muss sich gar nicht für die katholische Kirche interessieren, um dieses Buch zu schätzen. „Mitgift“ ist das Werk eines Menschen, der stets reflektiert gelebt hat.
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