Hanekes Kino hat immer Größe, aber es kann auch kalt sein. Michael Hanekes Kinokarriere hat mit einer Trilogie über die „Vergletscherung der Gefühle“ begonnen. Im 1992 entstandenen Mittelteil „Benny’s Video“ beobachtete er eine Mittelstandsfamilie, deren Sohn seine Freundin tötet und die Tat filmt.
In „Funny Games“ schaut er zu, wie zwei junge Männer eine Familie terrorisieren, und weist dabei das Publikum auf seinen Voyeurismus hin.
Und in dem Film „Das weiße Band“ (2009), das – so wie „Liebe“ – in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet wurde, erstickt eine Dorfgemeinschaft an ihrer Bigotterie und Grausamkeit.
Sind die strengen, spröden Filme von einem Künstler inszeniert, der nicht mehr an die Menschen glaubt? Oder von einem, der die Menschen so sehr liebt, dass er sie wachrütteln will, um sie vor ihrem Untergang zu retten?
Michael Haneke meinte dazu einmal in einem Interview: „Ich glaube, ich liebe die Menschen, aber selbst die sympathischsten haben keinen Garantieschein in der Tasche, dass sie immer sympathisch bleiben. Jeder von uns ist zu allem fähig. Man muss nur in die entsprechende Situation geraten.“
Die erzählerische Genauigkeit, mit der Haneke seine Protagonisten in derartige „entsprechende Situationen“ begleitet, führt daher auch nie zu einer Anklage, sondern zu Mitgefühl. Auch die langen Einstellungen und langsamen Bewegungen des Haneke-Kinos wirken nie wie vorwurfsvolles Insistieren.
Die weitgehend ohne Musik auskommenden Bilder passen sich dem Tempo der handelnden Personen an. Als Georges, der greise Industrielle, der im Film „Liebe“ seine schwerst kranke Frau erstickt, will er einfach nur ihre Leidenszeit beenden. Er selbst wünscht sich drei Jahre später selbst den Tod – in einem Film, den Haneke „Happy End“ betitelte.
Auch vor Video-Aufnahmen hatte uns der Regisseur schon längst gewarnt. Wie etwa in seinen kontroversen früheren Arbeiten „Bennys Video“ und „Funny Games“. In den späten Filmen ist er immer noch da – der Kulturpessimismus. Und die Bilder, die uns davor warnen sollen.
Ausgerechnet dieser Regisseur aber fordert mit seinen Filmen auf, Wärme und Empathie für die Menschen zu empfinden. Nein, Haneke wird dabei natürlich nie sentimental. Auch nicht bei seinen (bisher?) letzten beiden Filmen „Liebe“ und „Happy End“. Obwohl der Regisseur bei diesen Werken nicht nur nahe dran an seinen Protagonisten ist, sondern auch an den Darstellern, die er zu seinen Schauspiel-Lieblingen zählt. Wie Jean-Louis Trintignant und Isabelle Huppert.
Bei aller Kritik an Menschen und ihren Marotten hat Michael Haneke auch immer sich selbst im Visier: „Ich bin kein Heiliger. Ich nähre in meinen Filmen eine gewisse Skepsis: gegenüber den Menschen und gegenüber mir selbst.“
Wie seine Vorbilder Robert Bresson und Ingmar Bergman gilt er an der österreichischen Filmakademie, an der er „Professor auf Lebenszeit“ ist, als der strenge Lehrer des modernen Kinos. Eine ganze Generation heimischer Filmemacher weiß es ihm zu danken.
Haneke ist also ein Aufklärer, aber kein Optimist. Er verlässt sich nicht darauf, dass der Mensch „von Natur aus gut“ ist. Im Gegenteil: Im Kern von Hanekes Filmemachen steckt – und das ist die andere Seite der Aufklärung – dass man eben nicht alles von vornherein weiß, sondern, dass man etwas lernen muss. Und Filme können es einem beibringen.
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