Es ist noch gar nicht lange her, da war man als erwachsener Comics-Leser in der Defensive: Ein Kindskopf, wer so ein buntes Zeug anstelle von Shakespeare, Goethe oder Rosamunde Pilcher konsumierte.
Ach, wie sich die Zeiten geändert haben.
Längst beherrscht die Welt, die aus den Superhelden-Comics kam, die Populärkultur. Ein Kino-Blockbuster nach dem anderen rast durch die Kinos. Und auch die Hefte selbst haben sich zum begehrten Sammlergut und zu Fachsimpel-Vorlagen gemausert, über deren interne Zusammenhänge, Storylinien und Figuren so trefflich Wissen signalisiert werden kann wie einst über die Hochkultur. Und es ist gar nicht mehr peinlich (okay, fast nicht).
Ein Werk, das zu dieser Etablierung der Comicskultur wesentlich beigetragen hat, ist „The Sandman“.
In 75 Ausgaben (1989–1996) dieser Graphic Novel (so heißen Comics, wenn sie sich in Sichtweite von Kunst sehen) erschuf Neil Gaiman eine komplexe Welt rund um jenen komischen Zauberort, an dem die Träume stattfinden, wenn wir schlafen gehen. Das war düster und komplex und für damalige Zeiten auffällig fortschrittlich in jeder Hinsicht (Sex kann hetero sein, muss aber nicht). Und es war ein großer, prägender Erfolg.
Fanservice
Und „The Sandman“ hatte fast schon so etwas wie „Herr der Ringe“-Status, was die angebliche Unverfilmbarkeit anging (es gab Versuche, die scheiterten) – bis es eben verfilmt wurde. Beim Sandmann ist dieser Zeitpunkt, auf den viele Fans lange gewartet haben, nun gekommen: Netflix zeigt eine so aufwendige wie muskulös produzierte Serienversion.
Was natürlich heikel ist.
Denn die Angespanntheit der Fans, was Kanon-Treue und Abweichungen des Bewegtbilds von der eigenen Vorstellung betrifft, ist an und für sich schon groß („Star Wars“ kann ein langes Klagelied davon singen) und mit dem langen Warten auf die „Sandman“-Verfilmung sicher nicht kleiner geworden. Doch der Start gelang – wohl nicht zuletzt, weil Gaiman selbst in die Umsetzung involviert war.
Niemand anderer dürfte derart in das Originalmaterial eingreifen, ohne dafür durch die Shitstorm-Hölle getrieben zu werden. Gaiman aber tat es einfach (schließlich ist es sein Werk), und holte gemeinsam mit den Serienmachern den Sandmann in die Gegenwart.
Was nicht heißt, dass es weniger komplex oder auch weniger ausholend geworden ist. Tom Sturridge spielt Morpheus (bzw. „Dream“), der einen aus dem Traumreich in die echte Welt entfleuchten Alptraum einfangen muss.
Er ist einer von einer Handvoll, nun ja, Götter: Es gibt da noch den Tod und das Verlangen und die Verzweiflung und andere, und die streiten miteinander wie Geschwister und wollen einander nicht immer nur Gutes. Morpheus war noch dazu gerade 100 Jahre lang gefangen (irrtümlich, deswegen knirscht es im Traumland). Es könnte besser laufen. „Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen“, sagt schon Hamlet, und da schwingt eher keine Vorfreude mit.
Keine Angst, wenn man es sieht, gibt sich das alles viel weniger kompliziert. Es gibt tolle dunkle teuer produzierte Fantasy-Bilder und ein bisschen Schmäh, es gibt sonore Dialoge mit viel Wichtigkeit und kleine Feinheiten des Menschlichen bei den Göttergeschwistern (die eigentlich vor den Göttern da waren, aber egal). Und vor allem: Das Ganze ist so gut produziertes Fernsehen, wie es vor zehn Jahren nicht einmal im Traum möglich schien.
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