ORF2-Doku-Reihe „Weites Land": Spurensuche zwischen Klischees

Der Eindruck trügt: Vorarlberger Idylle mit Fleischermeister Jogi
„Was der Herrgott durch einen Berg getrennt hat, soll der Mensch nicht durch ein Loch verbinden“, sagt Pensionist Ernst beim Treffen der Freiwilligen Feuerwehr und lacht. Der Klischee-Spruch vom sich selbst genügenden Vorarlberg – hat er auch im Scherz einen wahren Kern?
Wie Österreichs westlichstes Bundesland tickt, das versucht die Auftaktfolge der neuen Doku-Reihe „Weites Land“ (22.15, ORF 2) der Wiener Regisseurin und Drehbuch-Autorin Jennifer Rezny zu ergründen. Es ist der erste Teil eines Puzzles, das am Ende zehn Filme umfassen soll und sich der nicht ganz simplen Frage widmet: Wer oder was ist Österreich? Ist es die Summe der neun Bundesländer, ist es deren Geschichte oder die gemeinsame? Sind es Brauchtum, Sprache, Musik oder Kulinarik? Die filmische Landvermessung überprüft Stereotype, mentalitätsgeschichtliche Unterschiede, vermeintlichen Wahrheiten und unwidersprochene Eigenheiten.
Vielfalt
„In den Vordergrund der jeweiligen Folge stellen wir Porträts von Menschen aus den verschiedensten Milieus, die wir in ihrem persönlichen Umfeld filmen. Denn wer kann am ehesten erfahrbar machen, was uns Österreicherinnen und Österreicher ausmacht, wenn nicht die Menschen aus den jeweiligen Bundesländern selbst?“, sagt Rezny.
Ganz im Westen zu beginnen, hatte einen guten Grund. „Als erstes Bundesland haben wir Vorarlberg gewählt, weil es von Wien aus gesehen am weitesten weg ist und uns am fremdesten war“, erläutert die Regisseurin, die kürzlich für die „kreuz und quer“-Sendung „Speisen wie die Götter – Ein himmlisches Kochduell“ mit dem Fernsehpreis der Erwachsenenbildung ausgezeichnet wurde.
Die Bewohner des Ländle hat Rezny „als ungemein höflich, reserviert und zuvorkommend erlebt. Ich hatte auch das Gefühl, dass sie eine ganz spezielle Mischung aus traditionell und modern – und für mein Empfinden eigentlich auch irgendwie ,unösterreichisch‘ – sind, also wenn es zum Beispiel ums Jammern geht oder darum, offen gegenüber Fremdem zu sein.“ Und so erfährt man in „Weites Land“, hier wird nicht geraunzt, „da schimpft man direkt.“
Zwiespalt
Die Schonungslosigkeit der Vorarlberger macht dann auch vor ihnen selbst nicht halt. Wenn etwa Schriftsteller Michael Köhlmeier sie beschreibt: „Wir sind pragmatisch, wir sind die gescheitesten und gleichzeitig sind wir doch die letzten Arschlöcher.“ Gemeinsam mit seiner Frau, Schriftstellerin Monika Helfer, hat er quasi den Promi-Part, den es in jeder Folge geben wird, über. Genauso zu spüren ist in dieser Folge viel unverfälschte Heimatliebe, wenn Rezny, im Stil ähnlich den „Alltagsgeschichten“, nachfragt, wie Vorarlberg riecht, schmeckt und wie es zu den Gartenzwergen vor der Haustür kam …
Entstanden ist „eine wilde Mischung aus Biografien und Bundesländer-Charakteristik“, die die Vielfalt der Menschen und Meinungen spiegelt. Welches Tier wäre Vorarlberg? Die Antworten entsprechen nicht unbedingt den Erwartungen: Gams, ja, aber Schnecke? Milchkuh?
Und dann gibt’s noch die Berge, die auch kein Klischee sind, die einengen, aber gleichzeitig Sicherheit geben und die prägen, dass es ein Loch nicht ändern kann. Und so stellt Illustratorin Monika fest, dass sie im Bezug zu ganz Österreich von „wir und der Rest“ spricht.
Die zweite, bereits produzierte Folge widmet sich am 4. September Niederösterreich
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