Gerhard Zeiler: „Wir würden heute mehr Gerd Bachers brauchen“

Gerd Bacher in einer Doku des ORF anlässlich seines 100. Geburtstags
Über Nazi-Trottel und Angstfreiheit: Festakt und Doku zum 100. Geburtstag des legendären ORF-Generalintendanten Gerd Bacher.

ORF2. Mit der Vorpremiere der Doku „Gerd Bacher, 100: Demokratie lernen“ und einem eindringlichen Festredner Gerhard Zeiler beging der ORF Dienstagabend den 100. Geburtstag seines legendären, 2015 verstorbenen Chefs. 1967, infolge des von Österreichs Zeitungen initiierten Volksbegehrens für die Unabhängigkeit des ORF an dessen Spitze gekommen, prägte ihn Bacher über 20 Jahre – obwohl ihn die Politik, begonnen bei SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky, immer wieder entfernte. 

Bachers Motivation: „Es ist eine der faszinierenden Herausforderungen für einen Bürger dieses Landes mitzuhelfen, aus Österreich eine vollständig funktionierende Demokratie zu machen“, zitierte Medienmanager Zeiler aus dem erstem TV-Auftritt als Generalintendant. Und weiter: „Ich verspreche, dass ich mit meinen Mitarbeitern alles unternehmen werden, dieses Unternehmen unabhängig zu führen im Sinne des alleinigen Eigentümers, des gesamten österreichischen Volkes."

Gerd Bacher 1925 - 2015

Nach dem von den unabhängigen Zeitungen - allen voran der KURIER unter Hugo Portisch - lancierten Volksbegehrens zur Unabhängigkeit des ORF betrat dort Gerd Bacher die Chefetage

Wer immer noch Nazi ist, muss in erster Linie ein Trottel sein

Demokratie war etwas, was der vormalige HJ-Führer und Kriegsfreiwillige erst lernen musste und dann mit Nachdruck vertrat: „Wenn heute immer noch einer ein Nazi ist, so muss es sich in erster Linie um einen Trottel oder noch Ärgeres handeln“, so Bacher in der Doku.

Den ORF hat der „Tiger“ „geprägt wie kein Zweiter – mit Mut zur Unabhängigkeit, Innovationskraft und der festen Überzeugung, dass Qualität der wahre Maßstab des Österreichischen Rundfunks ist“, sagte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann.

ORF lud zu „Abend für Gerd Bacher“ mit Diskussion und neuer Doku zu dessen 100. Geburtstag

Festakt für Gerd Bacher in Anwesenheit seiner Töchter (v. li.):  ORF-Generaldirektor Roland Weißmann, Helga Rabl-Stadler, Cristina Bacher-Rieger, Gabriela Bacher, Gerhard Zeiler (President Warner Bros. Discovery International), ORF-Stiftungsratsvorsitzender Heinz Lederer. 

Bacher wollte verändern, war aber kein Revolutionär

Zeiler verwies auf tiefgehende Bacher-Reformen im ORF wie die Unabhängigkeit der Berichterstattung, die Ö3-Gründung oder den Ausbau des zweiten TV-Programms. Bacher „wollte verändern, experimentieren, Neues ausprobieren … Aber er war nicht einer, der glaubte, man müsse zuerst etwas zerstören, um es neu aufzubauen.“ Zum Umsetzen dessen baute er auf „die Besten“. „.Sympathisch müssen sie oder er mir nicht sein – gut müssen sie sein“, lautete ein Bacher-Zitat. Der politisch „heimatlose Rechte“ scheute sich nicht, etwa mit Helmut Zilk und Franz Kreuzer auch ausgewiesene Sozialdemokraten zu holen.

Zeiler beschrieb Bacher als Optimisten, wortgewaltig und meinungsstark – und nicht immer einfach. Heute würde dieser ins Digitale investieren, sich 20, 30 junge Leute holen und sagen: „Hier habt ihr das ORF-Archiv, bringt die Stimme des ORF zu allen.“ Und auch heute wäre Bacher die Unabhängigkeit wichtig. Doch „es gibt unter dem Deckmantel der Unabhängigkeit keine Neutralität gegenüber der Unwahrheit, Verschwörungstheorien, der Wissenschaftsfeindlichkeit“. Und Zeiler schloss: „Gerd Bacher war ein ganz Großer. Wir würden heute mehr Gerd Bachers in Österreich, in Europa und der Welt brauchen.“ 

Doku „Gerd Bacher, 100: Demokratie lernen“ (Montag, 23.15, ORF2 sowie ORF On)

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