ORF-Digitalnovelle: "Blaue Seite" offenbar nicht länger Streitpunkt

Der Juni wird ein bewegter Monat für den ORF. So soll die Besiedelung des multimedialen Newsrooms am Küniglberg starten. Auch das "Sound"-Modul werde seinen Betrieb aufnehmen, kündigte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann am Donnerstag bei einer Sitzung des Publikumsrats an. Auch sagte er, dass im Zuge der Verhandlungen zur ORF-Digitalnovelle die von privaten Medienmarktteilnehmern oft kritisch beäugte "blaue Seite" - orf.at - außer Streit gestellt sei.
Derzeit befinde man sich in "intensivsten" Gespräche mit dem Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und dem Verband Österreichischer Privatsender (VÖP). Insgesamt liefen die Verhandlungen gut, so sei die "blaue Seite" als wichtige dritte Säule des ORF mittlerweile kein Streitpunkt mehr, führte Weißmann aus. Der VÖZ stieß sich in der Vergangenheit etwa an dem hohen Wortanteil auf orf.at und verglich die "blaue Seite" mit einer Onlinezeitung, deren Betrieb aber nicht die Aufgabe eines Rundfunkunternehmens sei.
Die Österreichische Webanalyse (ÖWA) weist orf.at regelmäßig als mit Abstand meistgenutzte Onlinenachrichtenseite aus. Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine hat sich ihre Nutzung noch weiter erhöht, wie Weißmann veranschaulichte. So lag die durchschnittliche Tagesreichweite 2022 bis zum 23. Februar bei knapp unter 3 Mio. Personen, von 24. bis 27. Februar wurden täglich im Schnitt rund 4,2 Mio. Personen erreicht.
Als "Must-Have's" für die Novellierung des ORF-Gesetzes führte der ORF-Chef einmal mehr "online only" und "online first", eine zeitunabhängige Nutzung von ORF-Angeboten und "zeitgemäße" Werbeformen an. Mehr Spielraum wäre etwa in Hinblick auf das kürzlich aufgrund des Ukrainekriegs aus dem Programm genommenen Opernball-Quiz und Faschingsprogramms nützlich gewesen, meinte Weißmann. ZDF, das ähnlich wie der ORF handelte, konnte die aus dem linearen Programm genommenen Inhalte in einer TVThek bereitstellen. "Das sollte uns auch möglich sein", so Weißmann, um es jenen anbieten zu können, die mit der Entscheidung nicht glücklich waren.
Der multimediale Newsroom am Küniglberg soll Mitte Juni besiedelt werden. Damit gehen "Spielregeln" einher. So gelte künftig die Prämisse "online first" für ORF-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter. Die von ihnen produzierten Inhalte gehören künftig allen, so Weißmann. Dabei seien noch viele Fragen zur künftigen Arbeitsweise vonseiten der Belegschaft offen, was nicht zuletzt zu einer kürzlich abgehaltenen viereinhalbstündigen Verhandlungsrunde mit Redakteurssprechern führte. "Wir investieren viel Geld in die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Journalismus. Letzte offene Punkte arbeiten wir gemeinsam ab", sagte der ORF-Chef.
Weiterer thematischer Dauerbrenner ist der geplante ORF-Player. Das "Sound"-Modul soll im Juni starten. Dabei sollen alle Audioangebote des ORF gebündelt, neu geclustert und als interessantes Bouquet bereitgestellt werden, wie ORF-Radiodirektorin Ingrid Thurnher bereits beschrieben hatte. Im Herbst soll das Modul "Topos" folgen - ein multimedialer Bereich für Kultur, Wissenschaft und Religion. Erste Bausteine des Players finden sich bereits online - etwa der "Newsroom", der auf der "blauen Seite" täglich bis zu 60 aktuelle Videoclips beherbergt. Seit einigen Tagen sind mehr Bewegtbildinhalte auch auf der "gelben Seite" - sport.orf.at - zu finden.
Das bereits angekündigte Klimamagazin - das wahlweise auch als Nachhaltigkeitsshow bezeichnet wird - startet im Herbst. Damit wolle man Bewusstsein schaffen und das auf niederschwellige und teilweise unterhaltsame Art, um Lösungen für alltägliche Fragen zu präsentieren, erklärte ORF-Programmdirektorin Stefanie Groiss-Horowitz. Bis dahin müsse man noch Kompetenzen auf diesem Gebiet bündeln und aufbauen. Große Lust vonseiten der Belegschaft, sich damit auseinanderzusetzen, sei gegeben, so die Programmdirektorin. Der Start eines neuen Volksgruppenmagazins ist für September geplant.
Um auch den Jüngsten ein öffentlich-rechtliches Online-Informationsangebot machen zu können, prüft der ORF außerdem die Schaffung einer "Mini ZIB 100" für Kinder. Ziel ist es, Kinder und Eltern in diesen schwierigen Zeiten durch Information und Einordnung, mit geprüften Inhalten und der Kompetenz der ORF-Information zu unterstützen.
Rückendeckung bekam der ORF-Chef in puncto Digitalnovelle von den Spitzen der zur Sitzung geladenen Sozialpartner-Organisationen. Sie sprachen sich für eine ORF-Digitalnovelle aus, um dem öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen vor allem im digitalen Raum zielgruppenadäquate Produktion zu ermöglichen. Auch forderten sie die stärkere Berücksichtigung von Zukunftsthemen im ORF-Programm. Zu Gast waren Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer, Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl, Landwirtschaftskammer-Präsident Josef Moosbrugger und Wolfgang Katzian, Präsident des Österreichischen Gewerkschaftsbunds.
Mahrer war etwa ein Anliegen, dass der ORF mit breitenwirksamen, verständlichen Formaten verstärkt mit jungen Zielgruppen interagiert. Anderl sah "viel Luft nach oben" bei der vom ORF gelieferten Orientierungshilfe. Man müsse mit attraktiven Informations- und Beteiligungsangeboten auch benachteiligte Gruppen - etwa Lehrlinge oder Menschen mit Herkunft außerhalb von Österreich - stärker berücksichtigen. Moosbrugger wünschte sich eine bessere Abbildung von regionalen Wirtschaftskreisläufen und den Themen Nachhaltigkeit und Versorgungssicherheit im ORF-Programm. Katzian sah noch Spielraum in Hinblick auf die Klimakrise oder auch die Vermittlung von Arbeitsrecht gegeben.
Im Rahmen der Publikumsratssitzung stellte sich auch das neue ORF-Direktorenteam vor, was prompt von mehreren Rätinnen und Räten dazu genutzt wurde, für bessere Zusammenarbeit zu plädieren. So sei sie in der Vergangenheit zwar korrekt, aber von einem gewissen Desinteresse geprägt gewesen, merkte Walter Marschitz, Vorsitzender des Publikumsrats, an. Die umfänglichen Ausführungen des neuen ORF-Chefs am Donnerstag wurden jedenfalls von mehreren Räten als positives Signal aufgefasst.
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