ORF-Talk über Regierung: "Hexenküchen" und Scherpas aus Nepal

Maria Stern (Liste Pilz) und Beate Meinl-Reisinger (Neos) konfrontieren Gernot Blümel (ÖVP) mit Kritik
Bei "Im Zentrum" saß ein bissiger Oppositionsblock, der in dieser Besetzung zum ersten Mal im ORF aufgetreten ist.

*Das TV-Tagebuch ist eine streng subjektive Zusammenfassung des TV-Abends*

Ein Jahr ist nach der Wahl vergangen. „Was hat sich seither verändert?“ fragte der ORF am Sonntag bei "Im Zentrum". Am Vortag gab es schon die Antwort des Kanzlers im Rahmen einer ÖVP-Tagung: "Die Veränderung hat begonnen."

Nach der Selbstdarstellung der Neuen Volkspartei, die zumindest im Internet vom ORF live übertragen wurde, kam nun bei Claudia Reiterer auch die Opposition zu Wort. Und weil es eine der bestimmenden Erzählungen der bisherigen türkisblauen Regierungszeit ist, dass die Oppositionsparteien nicht und nicht in die Gänge kommen, war am Sonntagabend das unausgesprochene zweite Thema neben der bisherigen Regierungsarbeit: Macht die Opposition jetzt endlich Opposition?

Der offenbar steigende Legitimationsdruck äußerte sich auch in einer gewissen Hektik, die schon fast wieder an turbulente Diskussionen von früher erinnerte, als einander in wechselnden Besetzungen Cap, Gusenbauer, Haider, Westenthaler, Strache oder Khol regelmäßig im ORF gegenüber saßen. Nur ein Professor namens Alexander Van der Bellen hob sich damals schon durch Gelassenheit ab.

Blümel: "Lüge" und "Fake News"

Auch am Sonntag fiel fast durchgehend jemand einem anderen ins Wort, die beiden Regierungsvertreter waren davon nicht ausgenommen. Kanzleramtsminister Gernot , der bisher eher für "Emotionen runter" stand, sprach sogar mehrmals von "Lüge" und "Fake News". Liste Pilz-Chefin Maria Stern hatte zum Beispiel "Willkür der Justiz" beim Asylwesen und „NGO-Bashing“ beklagt, sowie ein Nicht-Ernst-Nehmen der aktuellen Volksbegehren, was sie als Zeichen für einen "Demokratieverlust" wertete. Blümel: "Zeigen Sie mir ein einziges Beispiel, das das, was sie jetzt sagen mit einem Beschluss belegt. … Das ist einer Opposition nicht würdig." Diese Regierung habe bei der Wahl eine Mehrheit bekommen, gemeinsam verhandelt und aus der Schnittmenge ein Regierungsprogramm gemacht, das man jetzt Schritt für Schritt umsetze. Blümel: "Das mag Ihnen nicht gefallen, das ist legitim." Stern: "Das gefällt mir auch nicht."

Blümel an anderer Stelle zu Stern: "Mir macht ihre Irrationalität Sorgen."

Stern war die angriffigste Vertreterin eines Oppositionsblocks, der in dieser Zusammensetzung zum ersten Mal bei einer großen Fernsehdiskussion aufgetreten ist. Am Familienbonus kritisierte sie mangelnde Unterstützung für Alleinerziehende und eine ungerechte Verteilung durch die Steuererleichterungen. Bei der türkisblauen Sicherheitspolitik konstatierte sie eine Fokus-Verschiebung vom Thema häuslicher Gewalt zum Thema Migration.

Ebenfalls vehement, aber strukturierter, ging Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger vor. Unter Bemühung der Geschichte des Feldmarschalls Potemkin und seiner angeblichen Kulissendörfer sprach sie von „Fassaden, die Sie aufbauen, wo sie sagen, 'Veränderung, Veränderung', aber in Wahrheit ist nichts dahinter.“ In der Europapolitik vermisse sie Visionen, hier signalisiere man mit dem Ratsvorsitz-Slogan „Ein Europa, das schützt“ lediglich Abschottungspolitik.

SPÖ ohne Bihänder

Thomas Drozda, frisch gekürter SPÖ-Bundesgeschäftsführer, interpretierte die Rolle des Oppositionspolitikers eher nobel und bihänderfrei. Stellenweise gab sich Drozda moderierend, seinen beiden Mitstreiterinnen bloß beipflichtend. Mehrmals kam er auf die Abschaffung der Kernschen "Aktion 20.000" zu sprechen, kritisierte die an den Gewerkschaften vorbei durchgesetzte Arbeitsmarktflexibilisierung. Das war erwartbar, einen überraschenden neuen Vorwurf suchte man vergeblich.

FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky versuchte sogar, Drozda selbst in die Defensive zu bringen und geißelte die Migrationspolitik der Vorgängerregierung im Jahr 2015. Als er sich darüber amüsierte, dass Rot am Tag nach der Wahl das (Regierungs-)Gespräch mit den Blauen gesucht habe, setzte Drozda sein süffisantestes Lächeln auf. Den letzteren Vorwurf bezeichnete er als „Legendenbildung“, die eben gut in die Erzählung von Sebastian Kurz passe, der damit sagen könne: ‚Ich konnte ja nicht anders, als mit der FPÖ zu koalieren.‘

Worauf ihn Vilimsky mehrmals unterbrach. Er wolle jetzt nur ein "Ja oder Nein" hören. "Stimmt’s oder stimmt’s nicht?". Man sieht: Es gab an diesem Abend mehr als einen Moderator in der Runde.

Ein Mal griff aber auch Drozda zu schärferen Worten: "Sie (Vilimsky, Anm.) sind zweifellos die Instanz, die uns hier die Leviten liest. Ist doch lächerlich."

IM ZENTRUM: Ein Jahr nach der Wahl

"Hexenküchen" und nepalesische Scherpas

Zu einem gänzlichen Stillstand kam die Debatte, als Meinl-Reisinger von Vilimsky mehrmals am Formulieren eines Satzes gehindert wurde. Reiterer, die darauf klärende Worte sprach und dabei auch die Neos-Klubchefin nicht ausgespart hat, musste sich an anderer Stelle von Vilimsky sagen lassen, einer "rot-grünen Propaganda" aufgesessen zu sein. SPÖ, Neos und Liste Pilz bezeichnete dieser als "Partei-Hexenküchen", worauf Meinl-Reisinger erwiderte: "Die giftigste Küche sitzt da drüben."

Meinl-Reisinger wiederum wurde von Vilimsky mit der "Vertretungsvollmacht für die nepalesischen Scherpas" betraut. Warum das? Die Neos-Chefin hatte zuvor eine Passage aus der Kanzlerrede beim ÖVP-Jubiläumsfeierlichkeiten zitiert, wonach Kurz sich bei einer Rax-Wanderung darüber gewundert hatte, dass der dortige Hüttenwirt nepalesische Küchenhilfen einstellt. Das bringe doch dem heimischen Arbeitsmarkt nichts, sinnierte Kurz dort sinngemäß. Meinl-Reisinger unterstellte der Regierung anhand dieses Beispiels, lediglich den "Zuspruch am Stammtisch" zu suchen, während übersehen werde, dass es sich um Entwicklungshilfeprojekte handle und dass es eine traditionelle Beziehung zwischen österreichischen und nepalesischen Alpinisten gebe.

Für Vilimsky war diese Kritik „aber jetzt outer space“. Als Antwort lieferte er die bisher schönste Umschreibung der FPÖ-Forderung „Österreich zuerst“: „Nehmen sie zur Kenntnis, dass es eine Mehrheit dafür gibt, dass man Österreicher im eigenen Land in eine prioritäre Stellung bringt.“

Nur nicht streiten

Auch wenn man während der ganzen Diskussion nie das Gefühl bekam, dass Blümel und Vilimsky auch nur einen Pfiff Bier Seite an Seite herunterstürzen würden: Der Eindruck des „Nicht Streitens“ bleibt – zumindest nach außen hin - bestehen. Dass eine schärfer agierende Opposition im Kontrast dazu leicht destruktiv über den Schirm kommen kann, sah man am Sonntag bei „Im Zentrum“.

Maria Stern macht sich aber zumindest um den Zuspruch für die Liste Pilz keine Sorgen: „Nein, wir steigen bereits wieder.“

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