Heftige Onlinedebatten: Kommt Schönheit aus den Genen - oder besser gleich aus der KI?

Schauspielerin Sydney Sweeney ist einer jener Menschen, über die sich der derzeitige popkulturelle Begriff von Schönheit definiert. Sie räkelt sich im bisher letzten Rolling-Stones-Video, spielt in gefeierten Serien wie "Euphoria" und "White Lotus" - und sieht dabei auf unwirkliche Art gut aus. Mit einem Werbeclip ist Sweeney nun ins Zentrum einer giftigen Online-Debatte rund um Schönheit gerutscht - denn der doppeldeutige Slogan liebäugelt damit, dass sie "gute Gene" hat.
Man erinnert sich: Die Verknüpfung des menschlichen Erscheinungsbilds mit den Genen hat eine unrühmliche Geschichte, an die sich zahlreiche Onlinekommentatoren gemahnt fühlen.
Ein Model in der aktuellen Modezeitschrift Vogue wiederum hat gar keine Gene - die schöne Frau kommt nämlich, eine Premiere in der Modewelt, zur Gänze aus dem Computer.
Für ein paar Sekunden darf man Voyeur spielen: Die Kamera fährt die Beine von Sydney Sweeney hoch, man sieht, wie sie gerade noch rechtzeitig die Jeans zuzippt, man bleibt, verblüfft davon, wie jemand derart artifiziell schön sein kann, an der Oberfläche der beworbenen Hose. In einem anderen Clip geht es den anderen Weg, nämlich den Körper runter.
Dann aber kommt es: "Sydney Sweeny has great jeans", "Sydney Sweeney hat großartige Jeans".
Was unverfänglich klingt, ist aber im englischen Original homophon mit einer zweiten Interpretation: "Sydney Sweeny has great genes", "Sydney Sweeney hat großartige Gene". Diese Interpretation ist auf einem Plakat auch ausformuliert, "Genes" ist da durchgestrichen und durch "Jeans" ersetzt. Und ja, bei dieser Verbindung wird man hellhörig.
Das ist vorderhand natürlich schlaues Agenturzeugs: Die allererste Aufgabe von Werbung - im Kopf hängen bleiben, emotionalisieren - ist vorbildlich erfüllt. Man stutzt und winkt die Werbung nicht gleich durch.
Das ging vielen so - und die Emotionalisierung ging dann eventuell um einiges weiter, als den Werbetreibenden lieb ist. Denn dass ausgerechnet diese blonde, blauäugige junge Frau mit einer genetischen Definition von Schönheit in Verbindung gebracht wird, und sei diese Verbindung noch so augenzwinkernd, nun ja, das stieß gar nicht wenigen sauer auf.
Heißt das nämlich, im Umkehrschluss, dass nicht ganz so schöne, nicht ganz so blonde und blauäugige Menschen schlechte oder halt auch nur mittelmäßige Gene haben? Entlang dieser Linie entspann sich ein Onlinesturm.
Befeuert wurde der durch einen Satz, den Sweeney in einem Clip sagt: "Gene werden von den Eltern an die Nachkommen weitergegeben und bestimmen oft Merkmale wie Haarfarbe, Persönlichkeit und sogar Augenfarbe. Meine Gene sind blau", heißt es da. Das wird dann durchaus auch schon ein wenig triumphalistisch: Derart mit der eigenen herausragenden Körperlichkeit kokettieren kann nur, wer hier auf so umfassende Art im Aussehenslotto gewonnen hat wie Sweeney.
Das muss darüberhinaus, wie etwa der Werbeexperte Allen Adamson dem Sender NBC sagt, auch als auffälliger Bruch mit einem Werbetrend der letzten Jahre gelesen werden - der nämlich auf die inhärente Schönheit normaler Menschen und die Vielfalt der Körperbilder setzte und nicht auf so Ausnahmeschönheiten wie Sweeney.
Und da dockt die Gen-Debatte an eine weitere Aufregung rund um die Schönheit an, die derzeit ihre Kreise zieht. Denn die lange laufende Debatte um unrealistische Schönheitsideale in der Werbung ist um eine extreme Facette reicher: Eine Werbekampagne in der Vogue müht sich gleich nicht mehr mit ewatigen menschlichen Makeln, die man mit Photoshop beseitigen müsste - sondern setzt gleich ein künstliches Model ein, das ganz aus der KI kommt.
Und ja, es sieht genau so aus, wie man erwarten, wenn nicht befürchten muss: Die junge Frau ist auf die standardisierteste Art schön, sie ist die Essenz dessen, wie (amerikanische) Frauen im vermeintlichen Idealfall auszusehen haben. Zwar nicht jener spindeldürre Kokain-Schick, der in den 1990ern Mode war und zuletzt wieder Aufschwung erlebte. Aber wer an seinem eigenen Körper diverse Mängel ortet, bekommt hier mal wieder ein Ideal serviert, das auf normalem Weg - siehe Gene - nicht zu erreichen sein dürfte.
Eines ist zwar sicher: Hier kommt die Schönheit nicht aus den Genen. Sonst ist die Debatte über Körperbilder aber gerade wieder eröffnet.
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