Kai Diekmann über Nehammer, Putin, Boulevard: "16 Jahre BILD waren zu lange"

Ein Mann lehnt an einem großen, abstrakten Gemälde mit roten und weißen Elementen.
Kai Diekmann war längstdienender Chefredakteur der BILD und ist froh, jetzt frei zu sein. Ein Gespräch über Nehammer, Putin und den Boulevard

Von 2001 bis 2017 stand Kai Diekmann an der Spitze der BILD – so lange wie kein anderer Chefredakteur. Zum aktuellen Zustand des Axel Springer Verlags sagt er nichts. Stattdessen legt er ein 500-Seiten-Buch vor, in dem es detailgetreu um Hintergründe zu großen Geschichten seiner BILD-Zeit geht.

KURIER: Sie waren 2022 Berater der ÖVP, mit Kanzler Nehammer in der Ukraine und beim russischen Präsidenten Putin. Suchen Sie die Nähe zur Politik oder sucht die Politik die Nähe zu Ihnen?

Kai Diekmann: Wenn man 30 Jahre Journalist ist und 16 Jahre an der Spitze einer so großen Zeitung wie BILD gestanden hat, dann ist es ganz natürlich, dass man über einen entsprechenden Erfahrungsschatz verfügt. Sie wissen, wie häufig ich Wladimir Putin getroffen habe, um mir einen intensiven Eindruck machen zu können.

Ich habe auch die Klitschkos in Kiew nicht nur einmal getroffen. Vor diesem Hintergrund finde ich es normal, dass ich aus der Politik gefragt werde, wenn es um die Vorbereitung von Treffen mit diesen Protagonisten geht. Wenn mein Rat gesucht wird, gebe ich ihn sehr gerne.

Vier Männer stehen in einem Raum, darunter Vitali Klitschko und Karl Nehammer.

Diekmann mit den Klitschkos und Nehammer (2. v. li.) in der Ukraine

Da gibt es die Geschichte, wo Sie und Putin gemeinsam schwimmen waren und er sich vor Ihnen ausgezogen hat. Gibt es so etwas wie eine freundschaftliche Ebene?

Nein. Zwischen einem amtierenden Präsidenten und einem Journalisten kann es keine Freundschaft geben. Der Putin 2001, den ich in Sotschi getroffen habe, war sicherlich ein anderer Putin als der Kriegspräsident. Über Jahre habe ich die Anekdote vom gemeinsamen Schwimmen gerne erzählt. Heute tue ich das mit sehr gemischten Gefühlen.

Es illustriert, wie der russische Präsident seine Gesprächspartner zu überraschen, zu überrumpeln versucht. Wie er sie in eine scheinbar vertraute Situation zieht. Das wäre heute natürlich ein absolutes No-Go, wo Putin eben nicht mehr der unschuldige russische Präsident, sondern ein Kriegsverbrecher ist.

Distanz ist Ihnen wichtig. Aber das haben Sie nicht immer halten können.

Sie sprechen mein Verhältnis zu Helmut Kohl an. Zu unserer intensiven Freundschaft ist es erst gekommen, als er längst kein aktiver Politiker mehr gewesen ist. Selbstverständlich habe ich vorher in meiner Zeit als Politik-Chef von BILD seine Nähe gesucht, weil das ist es, was ein Journalist tun muss, um Informationen exklusiv zu erhalten.

Ihre Beratung der ÖVP lief etwa ein Jahr.

Nicht ich habe die ÖVP beraten, sondern das von mir gegründete Unternehmen Storymachine. Meine Beratung für Karl Nehammer habe ich aus privatem Interesse getan.

„Ich war BILD“ heißt Ihr Buch. In Anlehnung an die berühmte Schlagzeile „Wir sind Papst“ vom 20. April 2005. Was hat 16 Jahre Chefredaktion der BILD mit Ihnen gemacht?

Auf eine wundersame Art haben BILD und ich ziemlich gut zusammengepasst. So wie BILD provoziert und polarisiert, so bin ich auch niemand, der einem Konflikt aus dem Weg geht. Als Journalist die Klaviatur eines Mediums wie BILD spielen zu dürfen, ist ein großartiges Geschenk. Das hat mich gereizt. BILD ist ja so etwas wie der Seismograf der deutschen Befindlichkeiten. Wobei: Die 16 Jahre waren aus heutiger Perspektive wahrscheinlich zu lange.

Warum?

BILD ist immer Dauerkrise, immer Grenzgängerei. Für BILD ist Routine eigentlich das Allerbeste, was man sich vorstellen kann. Aber: Irgendwann wurde nicht mehr danach gefragt, was will der Leser, sondern: Was will Kai?

Was hat dieses Dauerfeuer mit Ihnen gemacht?

Es führt zu einer gewissen Resilienz. Sonst können Sie den Job ja auch nicht machen. Mein Grundsatz: Wer austeilt, muss auch einstecken können. Auch, wenn es ungerecht ist.

Wladimir Putin bei einem Treffen mit einem Mann am Tisch sitzend.

Putin und Diekmann 2016

Wie sind Sie damit umgegangen, Meinung zu machen?

Mit Bedacht. Man muss immer die Folgen von Schlagzeilen bedenken. Es gibt auch Beispiele, wo wir bewusst entschieden haben, auf eine Schlagzeile zu verzichten, obwohl sie journalistisch gerechtfertigt gewesen wäre. Weil wir sagen, da haben wir eine Verantwortung.

Was haben Sie über Macht gelernt?

Dass sie immer nur geliehen ist. Da unterscheiden sich Chefredakteure großer Blätter nicht von Politikern. Man muss wissen, dass das nichts mit der eigenen Person zu tun hat, nur mit der Funktion.

Jetzt sind Sie Lobbyist, PR-Mann, Unternehmer – ist Ihnen das genug? Ohne große Aufregung jeden Tag?

Sie glauben gar nicht, wie herrlich es ist, ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Das ist mir am meisten abgegangen. Es war ein Korsett, ein goldener Käfig. Mit Tagen, die häufig erst zu Ende waren, wenn mein Fahrer noch mal drei Runden ums Haus gedreht hatte, weil ich meiner Frau versprochen hatte, ich komme nicht mit dem Handy am Ohr ins Haus. Insofern bin ich heute frei.

Das Buchcover von Kai Diekmanns „Ich war BILD“ vor rotem Hintergrund.

Kai Diekmann: „Ich war BILD. Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen“ DVA-Verlag. 544 Seiten. 36 Euro  

Zum Zeitungsgeschäft: Die Auflagenverluste weltweit sind bedrohlich. Auch in Ihrer Ära gab es massive Auflagenverluste bei BILD. Wie sieht Ihr Zukunftsszenario für Zeitungen aus?

Es ist relativ einfach. Unser Geschäftsmodell ist Journalismus. Die digitale Welt macht Journalismus besser und gibt uns andere Möglichkeiten, unser Publikum zu erreichen. Sie können publizistischen Erfolg heute nicht mehr an der Zahl der verkauften Zeitungen messen. Dann würde sich die Sängerin Taylor Swift wahrscheinlich erschießen, wenn sie an der Zahl ihrer verkauften Schallplatten gemessen würde. Taylor Swift ist eine der erfolgreichsten Musikerinnen, sie produziert ihre Musik digital und stellt sie digital zur Verfügung. Und genauso gilt das heute für Medien.

Die niedrigen Erträge im Digitalen sind aber ein Problem.

Selbstverständlich sind die Erträge nicht mehr wie in der analogen Welt. Das Herausgeben einer Zeitung war früher gleich einer Lizenz zum Gelddrucken. Diese Zeiten sind lange vorbei. Das ist ein brutaler Strukturwandel, so wie er in jeder Industrie stattfindet. Die einzige Chance ist, sich selbst mit online zu kannibalisieren. Wenn man das nicht tut, wird man von anderen gefressen.

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