Brandstätters Blick: Medien ohne Angst – ein Dank an Ari

Der Ari-Rath-Ehrenpreis wurde am 6. Mai verliehen, in meiner Dankesrede ging es um den Zustand des Journalismus im Land. Hier Auszüge, die ganze Rede lesen Sie hier.
Das ist der erste Journalisten-Preis meines langen Berufslebens, vielleicht ist es auch der letzte. Das wäre gar nicht schlimm, Journalisten sollen sich nicht daran gewöhnen, geehrt zu werden, es muss uns genügen, für unsere Arbeit respektiert zu werden. Aber über diesen Ehrenpreis freue ich mich besonders, er ist nach einem Mann benannt, den wir für seinen Lebensweg, seine Leistungen und seine Lebensfreude bewundern(...)
Zuletzt haben mir Kolleginnen und Kollegen verschiedener Redaktionen erzählt, sie würden immer öfter beim Schreiben von Artikeln zumindest kurz daran denken, ob ihnen das schaden könnte – wer wieder anrufen würde – wer wieder versuchen würde, einzugreifen – wer wieder Druck machen würde. Die Regierung will nicht nur regieren, sondern auch mitreden und kontrollieren, was über das Regieren berichtet wird. Aber: Wenn wir beim Schreiben, beim Berichten und Analysieren auch nur einen Gedanken an mögliche negative Auswirkungen unserer Arbeit zulassen, sind wir am Anfang vom Ende der Pressefreiheit(...)
Der 14-Jährige Ari musste aus seiner Heimat flüchten, um sein Leben zu retten, ebenso wie sein Bruder Maximilian und viele andere. „Alles, was mir wichtig war, wurde mir nach dem 11. März 1938 genommen, weil ich Jude war“ schreibt Ari in seinen Erinnerungen. Am 31. Oktober 1938 ist Ari mit zwei Freunden den Nazis nur knapp entwischt, eine Horde von Hitlerjungen, die „Judenbuben, Judenbuben“ riefen, wollten sie zum Arbeitsdienst bringen, am 2. November konnten Ari und sein Bruder den rettenden Zug nach Triest erreichen, um von dort nach Palästina zu gelangen. Was hätte ich gemacht, hätte ich als Jugendlicher mitgeschrien? – Diese Frage hat mich seit meiner Jugend beschäftigt, seit ich ansatzweise versucht habe zu verstehen, was das Nazi-Regime ausgemacht und was es mit Menschen gemacht hat. Dass ich darauf keine eindeutige Antwort geben kann, hat mich immer beschäftigt und in meinem Beruf demütig sein lassen ...
Zeitung gelesen habe ich seit meiner Kindheit. Mein Vater war Generalsekretär der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, also politisch im Bauernbund aktiv. Aber er brachte alle Zeitungen nach Hause, vom Volksblatt bis zur Arbeiter-Zeitung(...)
Bilder von der Preisverleihung
Wahrheit und Angst
Nach Jus-Studium, Hochschülerschaft und Gerichtspraxis wurde die Neugierde, etwas mehr von der Welt zu verstehen als die Machtspiele und das Machtgefüge in Österreich größer. Ich kam 1982 zum ORF, ich wollte Auslandskorrespondent werden. Dass die Parteien sich auch damals viel wünschten, und manches bekamen, sogar bei der Anstellung junger Reporter mitreden wollten, habe ich schnell verstanden. Gerd Bacher gab uns stets das Gefühl, dass ein selbstbewusster ORF wichtig für das Land ist, und Hugo Portisch und andere gaben uns die Gewissheit, dass die Suche nach der Wahrheit unsere Arbeit bestimmen muss(...)
In Österreich ist das Verhältnis von Politikern zu Medien heute sehr, sicher zu stark von purer Angst bestimmt. Politiker haben Angst davor, dass sie „heruntergeschrieben“ werden, wie das ein Geschäftsmann in Verkleidung eines Journalisten in Österreich gerne unverblümt androht. An höflichen Tagen. An unhöflichen schlägt er zuerst verbal zu, um dann zu kassieren. Fast alle Politiker haben Angst davor, dass auch gegen sie kampagnisiert wird. Auch Journalisten haben Angst. Zunächst einmal davor, von wichtigen Informationen abgeschnitten zu werden. Im Innenministerium war man dumm genug, das auch noch schriftlich anzuweisen ...
Ich weiß, wovon ich rede, habe mich aber nicht einschüchtern lassen. Weder durch Klagen noch durch Verleumdungen, als etwa der Sprecher des Vizekanzlers mir einen SS-Verwandten andichten wollte, unter Berufung auf die Neonazi-Website metapedia. Auch Drohungen, unser Wohnhaus auf FPÖ-TV zu zeigen, machten mir keine Angst(...)
Ein neuer ORF
An dieser Stelle ein Wort zum ORF. Die Diskussion, die hier geführt wird, ist rundherum scheinheilig. Wenn dem ORF die Unabhängigkeit von der Regierung wichtig wäre, warum ist die Führung nicht stärker aufgetreten, jetzt oder bei der vorherigen Regierung? Und wenn der SPÖ die Unabhängigkeit des ORF so wichtig wäre, warum hat sie dann nicht als Kanzlerpartei dafür gesorgt? Der ORF hat nur eine Chance, das ist die jeweilige Opposition: Vor der nächsten Wahl müssen alle Oppositionsparteien sich auf ein Gesetz für einen parteifernen ORF verpflichten ... In der aktuellen Situation aber müssen wir alle den ORF vor diesen primitiven Angriffen, die absurderweise sogar von der Spitze des Stiftungsrates kommen, in Schutz nehmen – und gleichzeitig von der Führung verlangen, jede Intervention offen zu legen und gleichzeitig zurückzuweisen – ob es um Personalfragen, den Druck auf Nachrichtensendungen oder die Verhinderung der Ausstrahlung von Produktionen geht (...)
Bedrohungen aller Art
Ja, Journalisten haben sich da und dort zu wichtig genommen, da und dort ihre Aufgaben vergessen, und manche von uns sind fallweise auch der Macht zu nahe gekommen. Aber das alles darf kein Grund sein, die unabhängige Berichterstattung zu bekämpfen, Journalisten herunterzumachen, sie mit Unwahrheiten öffentlich zu verfolgen oder zu bedrohen. Aber das ist nur ein Teil einer politischen Entwicklung, die man mit dem Wort Rechtspopulismus zusammenfassen kann. Diese Parteien werden das weiter machen, weil es aus ihrer Sicht erfolgreich ist, das wundert mich also nicht. Dass bürgerliche Politiker nicht dagegen aufstehen, das aber enttäuscht mich(...)
Die Generation unserer Eltern musste in den Krieg ziehen oder flüchten, uns wurden Freiheit und Demokratie geschenkt, wir werden beides nur gemeinsam in Europa, als bewusste Europäer erhalten. Es ist die Geschichtslosigkeit in der Politik, die mir auch Sorgen macht. Gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten, ist wichtig und leider wieder notwendig. Das Gedicht, wo Menschen wieder als Ratten dargestellt wurden, entmenscht, wie bei den Nazis, ist kein Einzelfall, egal ob es um Juden oder eine andere Gruppe von Menschen geht, die man gerade ausgrenzen oder als angeblichen Feind des Volkes zeigen will(...)
Facebook radikalisiert
Das Klima zunächst verbal radikalisieren und sich dann distanzieren, wenn andere auf Facebook noch Schlimmeres schreiben, das ist verantwortungslos. Es ist in den sozialen Medien so einfach, mit den Emotionen der Menschen zu spielen, sie mit lockeren Sprüchen und auch gefälschten Bildern aufzuhetzen. Aber wer fängt die Emotionen wieder ein, wenn aus Worten wieder Taten werden, wie zuletzt in Christchurch oder in Sri Lanka? (...)
Jedes Ministerium beschäftigt sehr viele Mitarbeiter, die einerseits die Medien ständig beobachten und im Zweifel Journalisten auch bedrängen sollen. Das ist der eine Teil der Message Control, das Verhindern von Kritik. Der zweite besteht darin, dass Mitarbeiter der Minister selbst so tun, als seien sie Journalisten. Manche Ministerien haben in diesem Bereich ein Vielfaches von gut ausgestatten innenpolitischen Redaktionen.
Eine Medienförderung, ausgerichtet nach Qualität, wird uns seit Jahren versprochen, aber nicht gehalten. Dafür gilt die interne, aber unverblümt vermittelte Parole: Entweder ein Medium ist für uns, gut, oder gegen uns – dann wird es bekämpft oder zumindest boykottiert. Solche Medien werden dann als Teil der Opposition hingestellt, so soll ihnen die Glaubwürdigkeit genommen werden, indem man sie als politische Gegner darstellt.
Wir haben keine Angst
Mein Appell an die Regierung: Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten, kontrollieren Sie einander, aber nicht ihre Kontrollore. Die Institutionen der Demokratie schwächen, von den Gerichten bis zu den Medien, Feinde benennen, Menschen ausgrenzen, das eigene Volk für bedroht erklären und daraus einen neuen Nationalismus nähren, das ist kein Zufall, darüber müssen wir reden. Wir alle, die wir keine Angst haben, das führt dort immerhin zu Verwirrung, das widerspricht den Erwartungen. Das ist unsere große Chance. Nein, das ist der Anspruch an den Journalismus immer – und heute ganz besonders. Tatsachen berichten, aber diese auch bewerten, klar, unmissverständlich, ohne Angst. Nutzen wir dafür auch die sozialen Medien, um das allen zu sagen – teilen wir den Hashtag #MedienohneAngst.
Wir haben mit Aris Vermächtnis einen starken Verbündeten. „Ich empfinde es als großes Geschenk, dass mich meine natürliche Neugier, mein gutes Gedächtnis und mein Optimismus nie verlassen haben“, schrieb Ari, der Löwe, in seinen Erinnerungen. So werden wir mit den heutigen Herausforderungen zurechtkommen.

Ari Rath: „Ari heißt Löwe“, Erinnerungen, Zsolnay Verlag, 2012, € 24,90
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