Luftballone im Prater
Und um ein Œuvre, das bereits in den Wiener Jahren herausragend war. Nicht ohne Grund wählte das Museum ein Foto von bedruckten Luftballonen mit dem Riesenrad im Hintergrund (aus den 1930ern) als Werbesujet.
Marie Karoline Oestreicher, geboren 1915, war als drittes, spätgeborenes Kind in einer deutschsprachigen, jüdischen, großbürgerlichen und „akkulturierten“ Ärztefamilie in Karlsbad aufgewachsen. Ihre Herkunft „aus gutem Haus“ ermöglichte ihr, sich zur Fotografin ausbilden zu lassen: Nach der Matura im Juni 1933 ging die Alt-Österreicherin und nun tschechoslowakische Staatsbürgerin nach Wien, kaufte sich eine Leica sowie eine Rolleiflex und absolvierte eine dreijährige Ausbildung an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt.
Danach versuchte sie als freie Fotografin Fuß zu fassen, sie hielt Szenen in der Stadt fest, es entstanden Porträts im Stil der Zeit. Mitte 1937 übersiedelte Oestreicher zu ihrer älteren Schwester Lisbeth, eine am Bauhaus in Weimar ausgebildete Textildesignerin, nach Amsterdam. Gemeinsam gründeten sie das Studioatelier „Model en Foto Austria“: Lisbeth entwarf und produzierte Strickmode, Marie fotografierte die Modelle. Schon bald änderte sich deren Stil: Sie versuchte nicht mehr, wie in Wien, „möglichst viel in ein Kopffoto hineinzulegen, sondern, im Gegenteil, möglichst viel aus dem Gesicht herauszuholen“. Statt vieler Grautöne zeichneten ihre Porträts und Stillleben nun harte Schwarz-Weiß-Kontraste aus. Mehr oder weniger zeitgleich, nach Beginn des Zweiten Weltkriegs, nahm sie den Künstlernamen Maria Austria an.
Im Mai 1940 eroberte die deutsche Wehrmacht blitzkriegsartig die Niederlande – und es begann auch in Amsterdam die Judenverfolgung. Lisbeth gehorchte dem nationalsozialistischen Befehl und ging ins Durchgangslager Westerbork (sie überlebte die Shoah). Ihre weit jüngere Schwester hingegen widersetzte sich – und tauchte im September 1943 unter: „Sie müssen mich holen kommen, freiwillig gehe ich niemals hinter Stacheldraht.“ Maria Austria wurde im Widerstand aktiv, fälschte Identitätskarten und machte Botengänge. Aus ihrem Versteck in der Vondelstraat 110 fotografierte sie 1944 einen Aufmarsch der Wehrmachtssoldaten – ein beklemmendes Bild.
Pommesbude in Sevilla
Unmittelbar nach der Befreiung gründete Oestreicher mit Henk Jonker, den sie als U-Boot kennen und lieben gelernt hatte, sowie anderen Fotografen die Agentur „Particam“, eine Kombination aus „Partisan“ und „Camera“. Das Geschäft lief gut, die anderen stiegen aus, Austria und Jonker, mittlerweile verheiratet, arbeiteten ohne Unterlass.
Doch Jonker war, wie im Katalog eher flapsig erzählt wird, ein Autonarr und Frauenheld: Er angelte sich die Sekretärin der Agentur und übersiedelte mit ihr nach Sevilla, „wo er eine Pommesbude eröffnete“. Tatsächlich?
Maria Austria hingegen war Kettenraucherin und hatte regelmäßig Asthmaanfälle. Sie starb im Jänner 1975 mit nicht einmal 60 Jahren. Zuvor hatte sie noch einmal Wien besucht und zweimal Israel bereist. Und sie war mitunter ihren Prinzipien untreu geworden: Sie fotografierte zum Beispiel Josefine Baker 1970 in Farbe. Ihre Theaterfotografie aber, bis zu ihrem Tod fortgesetzt, lebte weiter von den harten Kontrasten.
Info: JMW, Palais Eskeles, bis 14. 1. 2024
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