"Maps to the Stars": Achterbahnfahrt der Oberfläche

Eine Frau meditiert im Lotussitz in einem Garten.
Bejubelt: Cronenbergs Hollywood-Satire blickt hinter die Fassade der Stars und Starindustrie.

Marktschreierische Hotelfassaden. Gesichterfassaden auf dem roten Teppich, Verkaufsfassaden auf den vielen Marktständen, die Filme kaufen und verkaufen: Cannes ist eine einzige Fassade.

Glücklicherweise gibt es auch Filme, die genau das thematisieren: die hinter die Fassade von Hollywood, der Filmindustrie, der Stars und Starlets blicken. Und das ziemlich grimmig.

"Maps to the Stars" heißt dieser Film, den Kultregisseur David Cronenberg am Montag bravourös ins Rennen um die Goldene Palme schickte. "Maps to the Stars", damit ist die Landkarte zu den Luxusvillen der Hollywood-Stars gemeint, zu deren Fassaden also.

Abgründe

Was sich an Abgründen dahinter auftut, davon handelt der großartig schreckliche Film, der radikalste bisher im Wettbewerb. "Ich mache immer Komödien. Alle meine Filme sind lustig, dieser hier ist keine Ausnahme", meinte ein gut gelaunter David Cronenberg auf der Pressekonferenz. Als Zuschauer würde man den Film eher Albtraum, Abrechnung, Vivisektion nennen, eine Mischung aus Satire und Horror, die weit entfernt ist von vorhersehbaren Plattitüden über Starkult. Cronenberg: "Mein Film handelt nicht nur von Hollywood. Er könnte genauso gut in Silicon Valley spielen, einfach überall, wo Menschen gierig nach Erfolg streben."

Ja, es ist eine makabre Galerie der verlorenen Seelen, die Cronenberg ausstellt. Und alle haben sie Angst: größenwahnsinnige Kinderstars, alternde Schauspielerinnen (Julianne Moore am Höhepunkt ihres Könnens) und TV-Gurus, die ihre psychisch kranken Kindern quälen. Sie alle sind von Angst getrieben: Angst, ihren Status zu verlieren, einen Fehler zu machen, Angst zu versagen. Jedes Gesicht ist eine Maske, Schmerz liegt darunter. Menschenverachtung bricht hervor. Man lügt, man schauspielert, man mordet, man halluziniert. Das Leben ist ein verzweifelter Vergnügungspark, eine Achterbahnfahrt der Oberfläche. In einer der gruseligsten Szenen führt Julianne Moore einen exzessiven Freudentanz auf, weil das Kind der Schauspielkonkurrentin gestorben ist – und sie nun die begehrte Filmrolle endlich bekommt. Danach darf sie mit "Twilight"-Star Robert Pattinson, der einen Limousinen-Fahrer spielt, im Auto Sex haben. Wie das so sei? Pattinson hatte bei der Pressekonferenz wenig dazu zu sagen. Im Gegensatz zu Cronenberg. "Eine ganze Generation von Amerikanern ist ja im Auto gezeugt worden."

Cannes 2014: Die Filme im Wettbewerb

Kristen Stewart mit Brille und Kapuzenpullover steht an einer Tür.

Juliette Binoche in einem schwarzen Kleid, an eine Holzwand gelehnt.

Ein Mann mit Brille und Fliege, beleuchtet mit grünem Licht, schaut zur Seite.

Ein orangefarbener Geländewagen fährt durch die verschneite Landschaft von Kappadokien.

Julianne Moore berührt das Gesicht von Kristen Stewart in einer Szene aus dem Film „Still Alice“.

Robert Pattinson lehnt an der Wand eines Tattoo-Shops.

Eine Frau mit hellen Augen schaut nach oben.

Das Porträt einer Frau mit ernstem Blick durch eine unscharfe Glasscheibe.

Ein weißer Truck steht vor einem Restaurant im Schneegestöber.

Ein Hund steht im Wasser an einem Ufer mit Bergen im Hintergrund.

Ein trauriger Junge mit roten Haaren lehnt an einer Wand.

Eine Frau und ein Mann stehen sich in einer winterlichen Landschaft gegenüber.

Eine Frau umarmt eine andere Person vor einem Planwagen in einer kargen Landschaft.

Eine Person taucht mit Kleidung im türkisfarbenen Wasser.

Ein Mann im historischen Kostüm steht vor einer Staffelei und malt ein maritimes Bild.

Eine Gruppe von Menschen sitzt in einem Kreis und diskutiert.

Channing Tatum und Steve Carell in einer Szene aus dem Film „Foxcatcher“.

Eine Frau versorgt die Wunden von mehreren Kindern in einem einfachen Raum.

Eine junge Frau mit gefalteten Händen steht besorgt in einer Küche, während eine ältere Frau ihr über die Schulter schaut.

Eine Frau kniet mit erhobenem Kopf in einer Gruppe bewaffneter Männer.

Ein Mann mit Brille steht nachdenklich auf einem Filmdrehgelände.

Szene auf einem Ball mit elegant gekleideten Menschen und Kerzenleuchtern.

Es ist das Festival der älteren Herren. Jean-Luc Godard (83), Mike Leigh (72), David Cronenberg (71), Tommy Lee Jones (67). Um nur vier der Regisseure zu nennen, die heuer um die Goldene Palme konkurrieren.

Aber man will es ihnen nicht vorwerfen, zumal sie hier auch Frauenfilme präsentierten. Tommy Lee Jones kam mit „The Homesman“ an die Croisette und interpretiert darin den Western um: nicht Männer und Helden reiten da durch die Prärie, sondern Frauen, Verrückte und Landstreicher. Es ist so etwas wie ein feministischer Western. Ein Widerspruch in sich also. „Mein Film kümmert sich nicht um Genres. Es geht um die amerikanische Geschichte“, meinte dazu Tommy Lee Jones in der Pressekonferenz. Er ist Hauptdarsteller, Co-Autor und Regisseur dieses zweiten Western seiner Karriere als Filmemacher. Wir befinden uns im Nebraska des 19. Jahrhunderts. Die Menschen, von denen erzählt wird, brechen nicht in den Westen auf. Auch das ist hier umgekehrt. Sie fahren zurück, vom Westen in den Osten, zurück in die Zivilisation. Und es ist eine Gruppe gescheiterter Menschen, Außenseiter, die da unterwegs sind: die resolute Farmerin (Hilary Swank), die niemand heiraten will, bringt drei junge Frauen in ihre Heimat, nach Iowa. Drei Frauen, die am erbarmungslosen Leben, an brutalen Männern, am Tod ihrer Kinder verrückt geworden sind. Mit ihren psychisch kranken Schützlingen zieht die Farmerin per Pferdewagen los, unterstützt nur von einem windigen Landstreicher (Tommy Lee Jones).

Die Reise erzählt von Frauenschicksalen, Migration und davon, wie Menschen in der Fremde scheitern. Tommy Lee Jones dazu: „Ich hoffe, man sieht, wie unzivilisiert die Zivilisation sein kann. Auch der amerikanische Imperialismus gegenüber den Ureinwohnern ist Thema – ich hoffe aber, der Film spricht für sich selbst.“

Mitarbeit: Severin Fiala

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