Märchenhafte Mittelerde
Die Fans standen zu Zehntausenden Spalier vor der Weltpremiere von „Der Hobbit“ im neuseeländischen Wellington. Sie trugen mittelalterliche Kapuzen, Elbenkleider, spitze Ohren und etliche kamen barfuß (wobei unrasierte Beine überwogen). Der Hobbit und sein Autor J.R.R. Tolkien haben nichts von ihrem Zauber verloren, seit der Oxford-Professor seine Kindergeschichte im Jahr 1937 herausbrachte.
Doch worin genau besteht die Anziehungskraft des „Hobbit“, der mit 100 Millionen gedruckten Exemplaren auf Platz 15 der erfolgreichsten Bücher aller Zeiten liegt? Ist es Tolkiens feiner Humor, der auch an schaurigen Orten wie Düsterwald aufblitzt, die spannende Reisereportage vom beschaulichen Auenland zum Einsamen Berg, das Repertoire an fantastischen Figuren – Elben, Trolle, Zwerge und Zauberer? „Mich fasziniert am ,Hobbit‘, dass es ein in sich geschlossenes Abenteuer ist, in dem aber Querverbindungen zu einer viel komplexeren Welt hergestellt werden.“ Das sagt Wolfgang Penetsdorfer, Obmann der Tolkien-Gesellschaft, Aliasname „Thorondor – König der Adler“.
Der Name ist mit Bedacht gewählt. Adler und auch Raben spielen bei Tolkien nicht nur als Fürsten der Vögel eine Rolle, sie sind auch Botschafter und Spione, eine Fähigkeit, die laut dem Altgermanisten Rudolf Simek vom nordischen Gott Odin abgeleitet ist (Odin konnte sich in Tiere verwandeln). Das ist nur einer von vielen mythologischen Verweisen im „Hobbit“. Man kann den Film natürlich auch ohne dieses Hintergrundwissen anschauen, aber wer sich mit Tolkiens Quellen befasst hat, sieht den Kinderroman „Der Hobbit“ mit anderen Augen. Simek: „Tolkiens Leistung besteht darin, aus Elementen der germanischen und keltischen Mythologie etwas Lesbares geschaffen zu haben.“
Inspiration und Motive entlehnte der Angelsächsisch-Professor der isländischen Edda, dem altenglischen Beowulf-Epos, dem Nibelungenlied und der Völsungen-Saga und anderen mittelalterlichen Quellen. So ist auch Gandalf, der Zauberer, eigentlich ein Zwerg gleichen Namens, der in der Edda mehrmals auftaucht. Der Name bedeutet „Zauber-Elf“. Aber Tolkiens Welt bietet noch mehr: Einen Ort, an den sich Zivilisationsmüde flüchten, erläutert Simek. „Wir leben in einer übertechnisierten und -kontrollierten Gesellschaft und sehnen uns nach einer Zeit, in der es noch Abenteuer zu bestehen galt“, kurz: Tolkien ist Abenteuer im Kopf, „echtes Saga-Zeugs“. „Thorondor“ beeindruckt die „starke Kameradschaft“ im „ Hobbit“. Zum Abschied daher eine Kostprobe auf Quenya, einer Elbensprache: „Elen síla lúmenn' omentielvo (Ein Stern scheint auf die Stunde unserer Begegnung).
Tolkiens Vorfahren kamen aus Sachsen, der Name bedeutet „tollkühn“. Eine feine Ironie, denn John Ronald Reuel Tolkien (1892–1973) hasste es zu verreisen, er schätzte Pfeifentabak, Pilzgerichte und begeisterte sich für Geschichte. Tolkien-Experte Simek: „Die Engländer sind sehr hobbitisch. Er beschreibt im ,Hobbit‘ sich und seine Zeitgenossen. Die Hobbits im Buch wirken echter als andere Figuren in Tolkiens Œuvre.“
Der „Berufsengländer“ Tolkien war Gelehrter durch und durch. 1968 beschwerte er sich in einem BBC-Beitrag über Fanpost. „Viele Schreiber haben meine Bücher gar nicht gelesen.“ Bis zuletzt arbeitete er an seiner angelsächsischen Mythologie, die posthum unter dem Titel „Das Silmarillion“ erschien. Simek: „Ein verschrobener Vorgang. Wer setzt sich hin und verbringt sein Leben damit, eine künstliche Welt zu erschaffen?“
Thorin Eichenschilds Zwergen-Companie
Der Anführer der Zwergengruppe (im Buch: „Thorin Eichenschild & Co.“), ist eine komplexe Figur, von königlichem Geblüt einerseits, kleingeistig und gierig wie jeder gewöhnliche Zwerg andererseits. Erst in der finalen Schlacht macht er seinem Geschlecht Ehre. Zwerge spielen in der altnordischen Literatur eine große Rolle, sie sind eine eigenständige Rasse und gehören zur niederen Mythologie. Sie leben in Tunneln unter der Erde. Ihre von Tolkien betont geringe Körpergröße und ihre bergbaulichen Fertigkeiten spielen in der mitteralterlichen Literatur allerdings keine Rolle. Dort sind sie durch ihre Weisheit und gewisse magische Fähigkeiten ausgezeichnet.
Bilbo Beutlin,
Hobbit und Meisterdieb
Die Hobbits sind eine literarische Erfindung Tolkiens, ihr Name könnte eine Abwandlung von „rabbit“ sein. Als Halblinge haben sie die Gabe, beim Auftauchen von Menschen schnell zu verschwinden. Das stellt sie mythologisch in die Nähe von Heinzelmännchen, Wichteln und Kobolden. So verfressen wie in den Jackson-Filmen sind die Hobbits im Original nicht.
Beorn, ein Mann mit zwei Gestalten
Der während des Tages friedliche Bienenzüchter Beorn verwandelt sich des Nachts in einen Berserker im Bärenfell. Tolkien griff auf den altenglischen Beowulf zurück.
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