"Lulu" im neuen Gewand

Eine Theaterszene mit einer Frau, die von mehreren Männern in Anzügen umgeben ist.
Kritik: Österreichs Vorzeige-Komponistin Olga Neuwirth vollendet Bergs "Lulu" mit sprödem Jazzsound an der Komischen Oper Berlin.

Mehr als nur wohlwollender Beifall und keinerlei Buhs für die österreichische Komponistin Olga Neuwirth: Das ist auch in der Komischen Oper, dem mutigsten der drei Berliner Operntheater, nicht selbstverständlich.

Der neue Intendant des Hauses, Barrie Kosky, präsentierte gleich mit seinen ersten zwei Premieren den ganzen Kosmos Oper: Vom ältesten bekannten Gattungsvertreter (Monteverdis "L’Orfeo") bis zum jüngsten, uraufgeführt am Sonntag – auch wenn dabei nur der dritte Akt völlig neu ist.

Auskomponiert

Neuwirth hat die nach 75 Jahren nun Rechte-freie "Lulu" von Alban Berg nach- und auskomponiert. Die zügellose Sex-Biografie der von Frank Wedekind erfundenen Kindfrau Lulu hatte Berg um eine einzige Zwölfton-Reihe komponiert und war vor Vollendung des dritten Akts gestorben (zumeist wird die von Friedrich Cerha fertiggestellte Fassung gespielt).

Neuwirth geht nun mit Bergs Material heftig, aber einfühlsam um: Die Handlung spielt im Amerika der 1950er- und 1970er-Jahre, die Musik kommt vom 27-köpfigen Jazzorchester, dirigiert von Johannes Kalitzke. Wer vielleicht mehr Sinnlichkeit erwartet hatte, wurde enttäuscht – auch im dritten, ganz neu komponierten Akt nutzt Neuwirth diese Chance nicht.

Wer auf mehr Zeit- und Lokalkolorit gehofft hatte, wartete ebenfalls umsonst. Die Spannung zwischen der Handlung auf der Bühne und der Musik aus dem Graben bleibt jedoch bis zum existenziellen, hinreißenden Wehlaut Lulus am Schluss erhalten. Das kann man auch der Nachkomposition Neuwirths nicht absprechen.

Gesteigert wird die Qualität der Produktion durch die fulminante Inszenierung von Kirill Serebrennikov, die allerdings mit zu vielen Querbezügen das Thema auch zu überfrachten droht. Hinreißend das Bühnenbild und die Kostüme, die in Abstufungen von grau und weiß fast zu schön sind. Dem entsprach auch die Leistung von Sängern und Orchester, angeführt von der darstellerisch sehr guten Marisol Montalvo als Lulu. Nachprüfbar in Neuwirths Heimat wird das 2014 im Theater an der Wien.

KURIER-Wertung: **** von *****

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