Leila Slimani schrieb von Küssen, die nach russischer Landschaft schmecken

Leila Slimani schrieb von Küssen, die nach russischer Landschaft schmecken
Die Nymphomanin im neuen Roman "All das zu verlieren" macht es wie die Mörderin in "Schlaf auch du": Urteilen sollen die Leser.

Verunsicherung hat ihren Roman „Dann schlaf auch du“ 2016/2017 zum Bestseller gemacht.
Ein Kindermädchen ermordet die ihr anvertrauten Kinder, und man wird aufgefordert, selbst zu sagen,  warum sie das getan hat.
Jedenfalls bekam die französisch-marokkanische Schriftstellerin Leila Slimani - Foto oben -  daraufhin den renommierten Literaturpreis Prix Goncourt, und  Staatspräsident Macron bot  ihr angeblich  das Amt der Kulturministerin an (abgelehnt).
So geht das also.

Apotheke

Der Münchner Luchterhand Verlag ließ  nun ihren allerersten Roman übersetzen, und auch bei „All das zu verlieren“  funktioniert die Masche.
Die Geschichte ist dünn.
Eine Frau ist sexsüchtig  – egal, ob „er“ dürr ist  oder einen Bauch hat, ob schmutzzige Zehennägel oder Fußpfleger: Adèle nimmt ihn.
Als sich ihr Ehemann, ein Arzt, das Bein gebrochen hat, nimmt sich Adele am Heimweg vom Spital den Operateur. Sie nimmt auch ihren Chef in der Zeitung, sie ist Journalistin, und jeden Tag nimmt sie den Umweg zur Apotheke, um einen Schwangerschaftstest zu kaufen. Sechs Euro 90.
Obessiv ist also auch ihre Angst, von einem Fremden schwanger zu werden.

Sympathisch

Adèle trinkt viel. Sie kotzt oft. Sie hat Angst vor der Finsternis und sucht sie. Sie will Anerkennung und ist süchtig nach dem Niederen. Sie will  Ruhe haben und sich um den Sohn kümmern.
Aber sie muss aufstehen und sich bedienen.
Bei einem eigentlich gar nicht begehrenswerten Kollegen ihres Mannes fährt der Stromstoß schon in ihren Bauch, wenn er sich dem Mund nähert, und der Stromstoß – Zitat – „erreicht ihre Vagina, lässt sie aufplatzen, fleischig und saftig wie eine Frucht, die man schält.“
Der französische Männermund schmeckt übrigens nach Wald und russischer Landschaft, und in diesem einen Fall ist Leila Slimani nicht weit entfernt vom Mond, den der österreichische Schriftsteller Thomas Sautner kürzlich als „Schüssel dampfende Vanillemilch“ beschrieben hat.
Sonst aber ist sie erfreulich kühl und niemals voyeuristisch, und fein ist, dass Adèle, diese moderne Madame Bovary,  überhaupt nicht unsympathisch ist. Man könnte Adèle küssen. Mit Verlaub.


Leila Slimani:
„All das zu verlieren“
Übersetzt von
Amelie Thoma.
Luchterhand Verlag.
 224 Seiten.
22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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