„Künstlerische Provokation": Die Band, die keine ist

Die Band "The Velvet Sundown"
Eine KI-Band, die sich menschlich gibt und dabei entlarvender klingt als jede Maschine: das ist The Velvet Sundown.

Von Georg Krierer

Mehr als eine Million monatliche Hörer zählt die Indie-Rockband The Velvet Sundown laut Spotify – Tendenz steigend. Seit dem 5. Juni veröffentlichte die Band zwei Alben und ein drittes soll bereits nächste Woche erscheinen. Klingt nach harter Probenarbeit und einem Übermaß an Kreativität? Wäre es, wenn die Band überhaupt existieren würde.

Die vierköpfige „Band“ macht derzeit große Bühne auf den Streaming Plattformen. Doch sie sind ein KI-Konstrukt: Stimmen, Instrumente, Texte, sogar Cover: nichts davon ist echt. Ihr größter Hit „Dust on the Wind“ (mehr als 1,18 Mio. Abrufe auf Spotify) ist ein algorithmisches Echo der 70er, inklusive Anlehnung an den bekannten Song „Dust in the Wind“ der Band Kansas. Selbst die Themen – Freiheit, Rebellion, Krieg – klingen wie  Chatbot-Textbausteine, einmal durch den Synthesizer gezogen und in die Spotify-Playlist gespült.  

Zukunft der Musik?

Laut einer Selbstbeschreibung der Band auf Instagram handelt es sich bei dem Projekt um eine „künstlerische Provokation“, die „die Grenzen von Urheberschaft, Identität und der Zukunft der Musik im Zeitalter von KI hinterfragen“ soll. Die Plattform Deezer markiert die Inhalte inzwischen als KI-generiert. Offen bleibt, ob das Experiment tatsächlich kritische Reflexion oder doch ein kapitalistischer Feldversuch ist: Denn KI braucht keine Gage, keine Schlafpausen. Musiklabels oder Streamingdienste könnten damit Kosten sparen. Schon jetzt soll laut Deezer jede fünfte neue Musikveröffentlichung von KI stammen. Gleichzeitig drohen die Einkünfte echter Künstler in den kommenden Jahren um mehr als 20 Prozent zu sinken, zeigt eine Studie einer Organisation, die mehr als 5 Millionen Urheber vertritt. 

The velvet sundown

Soziales Experiment

Wer steckt hinter The Velvet Sundown? Das ist bis jetzt noch ungewiss. Der Einzige, der sich bislang zu erkennen gab, war  ein Sprecher namens Andrew Frelon. Doch schnell stellte sich heraus: Frelon hat mit der Band so viel zu tun wie echte Instrumente mit The Velvet Sundown selbst. Spotify musste klarstellen,  mit der Erschaffung oder Verbreitung der Songs nichts zu tun zu haben. Interviews gibt es keine. Nur der US-Musikzeitschrift Rolling Stone sagte die angebliche Band, dass sie die Faszination hinter ihnen gut verstehen könne und sie diese nicht zerstören wolle. Auf X behauptet die Band sogar,  „sehr echt“ zu sein. Ein PR-Stunt? Denn für den 14. Juli kündigt der Account eine „große Enthüllung“ an.  

Die Wahrheit ist: Diese Band ist eine Fiktion. Eine mit künstlichem Glanz überzogene Simulation, die vorgibt, Tiefe zu haben, dabei aber auch nicht einmal an der Oberfläche zu kratzen. Die Musik klingt generisch, die Texte reimen sich nach dem Baukastenprinzip. Schon der Name „The Velvet Sundown“ ist höchstwahrscheinlich eine billige Anspielung auf Andy Warhols „The Velvet Underground“, einst ein Symbol für musikalische Subversion und künstlerische Authentizität. Heute ein Schatten davon, Kunst gibt es hier nicht, nur Kalkül. 

Was aber komplett fehlt, ist das gewisse Etwas: keine Konzerte, keine Storys. Kein Austausch mit Fans, keine Entgleisungen, keine Triumphe, keine Tragödien. Es ist Musik ohne Menschen, aber auch ohne Mut, ohne Makel. Kein Fehler, keine Handschrift. Nur das sterile Echo dessen, was einmal Popkultur war.

Nichts Neues

Doch KI-Songs sind nichts Neues. Letztes Jahr veröffentlichte die Musikerin La-Chaya den Song „Verknallt in einen Talahon“ und landete damit einen Überraschungserfolg. Es war das erste nachweislich KI-generierte Lied, das es in die deutschen Charts schaffte. Doch das ist kein Meilenstein der Technologie, eher ein Tiefpunkt der Musik. Dennoch, all diese Debatten erinnern an einen anderen Fall, allerdings mit entscheidendem Unterschied: Als die britische Band Gorillaz mit dem Hit „Clint Eastwood“ Anfang der 2000er die Charts stürmte, wurden sie ebenfalls durch fiktive Comic-Charaktere repräsentiert. Hinter den animierten Figuren steckten jedoch echte Künstler.  

„The Velvet Sundown“ ist kein musikalisches Projekt, es ist ein Symptom. Für eine Branche, die lieber in Algorithmen investiert als in Künstler. Für Plattformen, die sich mit austauschbarer Musik selbst bedienen. Und für eine Zukunft, in der Kreativität zur Kulisse wird. 

Kommentare