Dass er in vielen Epochen zu Hause ist, demonstrierte er bei seinem zweitägigen Gastspiel im Wiener Konzerthaus. Da sich Rattle zeit seines künstlerischen Schaffens Neuer Musik verpflichtet fühlt, mutet es logisch an, am Samstag „Ein deutsches Requiem“ von Brahms mit „Remembering“ des 1960 geborenen Engländers Mark-Anthony Turnage zu kombinieren. Das vierteilige Werk lässt mit schroffen, hektischen Eruptionen, einem wilden Treiben von Klängen, abgerissenen, zerfetzten Walzerpassagen, die an Ravel denken lassen, Leben und Vergehen aufwühlend zur Musik werden.
Rattle ließ den Komponisten eine eigene Fassung ohne Geigen erstellen. Daraus entstand eine Art Duett von Bratsche und Cello, das, brillant interpretiert, wie ein Solitär herausragt. Bei Brahms setzt Rattle auf Klarheit. Der Fokus seiner Lesart liegt auf Dynamik, das muss man mögen.
Phänomenal intoniert der Chor des Bayerischen Rundfunks. Die Stimmen der Damen und Herren harmonieren in allen Lagen, bestechen mit absoluter Wortdeutlichkeit. Dunkle Schattierungen, helle Ausbrüche – da fehlt nichts. Florian Boesch, der für den erkrankten Andrè Schuen eingesprungen ist, singt seinen Part mit Ausdruck. Lucy Crowes Sopran klingt in den Höhen etwas schrill, was jedoch das Gesamterlebnis nicht sonderlich beeinträchtigt.
Schönklang
Mit den letzten drei Symphonien von Mozart lässt Rattle am Sonntag hören, dass er mit diesem Komponisten noch viel vorhat. Seine Interpretationen changieren zwischen einer Anlehnung an die historische Aufführungspraxis und dem Schönklang, der mit seinem gut disponierten Orchester möglich ist. Den Schwerpunkt legt er auf Rasanz, arbeitete das Brüchige bei der Es-Dur-Symphonie KV 543, heraus. Absolute Verstörung, Momente des Entsetzens und Dramatik bei der 40., der g-Moll, KV 550. Bei der „Jupiter-Symphonie“ benannten, in C-Dur, KV 551, setzte er auf eine Art Bodenhaftung, scharfe Akzente und wurde bejubelt.
KURIER-Wertung: **** von *****
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