Khatia Buniathishvili: Eine Musikerin der Extreme
von Susanne Zobl
Ob es tatsächlich mehr als 50 Minuten statt der oft üblichen 40 waren, die sich Khatia Buniatishvili für Franz Schuberts Klaviersonate in B-Dur, D 960 Zeit nahm, ist im Nachhinein schwer zu sagen. Wenn diese Pianistin in ein Werk eintaucht, vergisst man Raum und Zeit – und sie wahrscheinlich auch.
Das vermittelte die gebürtige Georgierin im fast ausverkauften Goldenen Saal im Musikverein schon nach den ersten Takten. Ganz zart hob sie das Hauptthema an, wie sanfte Donnerschläge intonierte sie die ersten dunklen Triller im Bass. Sacht steigerte sie diese bei jeder Wiederholung. Ihre rechte Hand brachte das Klavier mit sanftem Ausdruck zum Singen. Selbst die Stille während ihres betont langen Innehaltens zwischen den Sequenzen brachte sie zum Vibrieren.
Diese Pianistin ist eine Musikerin der Extreme. Phänomenal steigerte sie stetig die Spannung im ausladenden ersten Satz. Immer mehr machte sie Schuberts Musik zu ihrer eigenen, generierte mit ihren Anschlägen pure Emotionen. Sublim nahm sie sich bei ihrer Interpretation die Freiheit, die sie gerade im Moment brauchte. Den Applaus nach dem ersten Satz brachte sie mit einer Kusshand charmant zum Verstummen.
Applaus auch dort, wo er nicht sein soll
Mysteriös hob sie das Andante sostenuto ganz langsam an als würde sie jeden Ton einzeln zelebrieren wollen. Könnte man Spannung wie Temperaturen messen, hätte das Thermometer den Siedepunkt erreicht. Wie gern hätte man die letzten Töne nachwirken lassen. Doch das Publikum applaudierte gnadenlos in jeder Satzpause. Buniatishvili setzte unbeirrt fort und riss tänzerische Motive an.
Diese Pianistin hat ihre eigene, verstörende, unverkennbare Sprache für Schubert gefunden. Ihre Art zu intonieren, lässt an Oskar Werner denken. Das blieb beim gesamten Schubert-Teil so. Subtil ging sie vom sprudelnden, murmelnden „Gretchen am Spinnrad“ zum sinnlichen „Ständchen“ über. Wie eine Umarmung klang Liszts „Consolation“ in Des-Dur. Bei der „Ungarischen Rhapsodie“ ließ sie furios die Stimmungschwankungen, die man bei einem Csardas erlebt, deutlich spüren. Viele Blumen, Bravos und nicht enden wollende Ovationen nach fulminanten Zugaben.
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