Kritik zu Wien Modern: "Schattenspiel" und Ohrenstöpsel

Jessie Cox, George Lewis und Hannah Kendall.
Das Festival Wien modern demonstriert, wie neue Musik strahlen kann. Verstörend schönes „Schattenspiel“, Ohrstöpsel und das Phänomen „Arditti Quartet“.

Wie quälend immer wiederkehrender Rassismus ist, ließ George Lewis in „Weathering“ mit verzerrter Symphonik, schroffen Sequenzen und Sirenenklängen spüren. Das war eine der Kompositionen, die zu Beginn von Wien modern das RSO mit Vimbayi Kaziboni am Pult eindrücklich hören ließ. Gemeinsam mit Lewis hatte er das Eröffnungskonzert im Zeichen der Afro-Diaspora programmiert. Verblüffend geriet das auf Schumanns „Zweiter“ basierende, aufwühlende Orchesterstück „He stretches out the north over the void and hangs the earth on nothing“ der Britin Hannah Kendall.

In weniger als einer Viertelstunde verband sie Mozart, der aus Spieldosen erklang, mit Hiobsbotschaften aus Funkgeräten, die sich durch ihren dichten Klangteppich Bahn brachen. Aus dem Staunen, wie einnehmend neue Musik heute klingen kann, kam man bei „Schattenspiel“ von Jessie Cox nicht mehr heraus. Da ging eine anmutig singende Violine in sanften Orchesterpassagen auf, die verschmolzen mit elektronischen Klängen zu einem impressionistischen Tongemälde. Das von Friedrich Cerhas „Spiegel“ und Sam Gilliams hängenden Bildern inspirierte Werk wirkte so, als hätte Korngold eine Symphonie von Brahms übermalt.

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Brillanz und britischer Humor: Arditti Quartet

Mit Brillanz und britischem Humor holte das Arditti Quartet seine Konzerte nach, die 2024 anlässlich ihres 50-jährigen Bestehens und zur Feier von Schönbergs 100. Geburtstags angesetzt waren. Da der Cellist Ludwig Fels sich den Arm gebrochen hatte, musste man ein Jahr darauf warten. Das hat sich gelohnt.

Schönberg intonierten sie mit Intensität, Schärfe und ließen sich auch nicht aus dem Konzept bringen, als sie beim vierten wegen eines Arzteinsatzes im Publikum unterbrechen mussten. Mit Peter Ablinger gaben sie Einblicke in die Arbeit eines Streichquartetts.

Wirklich aufregend aber gerieten jene Werke, die Irvine Arditti in Auftrag gegeben hatte. Am ersten Abend überwältigten sie mit „Cyborg Flesh“ von Stefan Prins. Die fürsorglich verteilten Ohrstöpsel nahm man bei manchen Frequenzen aus der E-Gitarre (Yaron Deutsch) gern.

Man kann sich dieses fast wie ein klassisches Streichquartett gebaute Stück so vorstellen, als hätte Stockhausen für Raumschiff Enterprise komponiert. Das Knarzen der per Live-Elektronik (Stefan Prins) verzerrten Streicherklänge erinnerte an Maschinenlärm oder das Gedröhn eines Drillbohrers. Denkwürdig geriet „Oh Bahir“ von Sarah Nemtsov. Sie bildete darin furios die Misstöne der Welt ab. So feiern wahre Meister ihr Jubiläum.

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