Verletzliche Körper, expressiver Tanz: "Club Amour" bei ImPulsTanz

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Zum Auftakt des Tanzfestivals im Wiener Burgtheater trifft der Choreograf Boris Charmatz auf die legendäre Pina Bausch.

Von Silvia Kargl 

Mit einer Collage aus drei Stücken begann am Donnerstag der ImPulsTanz-Sommer im Burgtheater. „Club Amour“ ist eine von Boris Charmatz zusammengestellte Zeitreise in die Tanzgeschichte. Seit 2022 leitet der französische Choreograf und Tänzer das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, mit Ende Juli wird er diese Funktion vorzeitig beenden. „Club Amour“ ist somit sein Abschied vom Tanztheater Wuppertal, für den er mit seiner früheren Ankündigung brach: Er wollte keine seiner Choreografien an einem Abend mit einem Stück der 2009 verstorbenen Ikone des Tanztheaters zeigen.

Das Experiment „Club Amour“ beweist nun, dass er mit seiner früheren Einschätzung richtig lag. Dabei sind alle Stücke Meilensteine des Tanzes aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, deren Wiederaufnahme allemal lohnt. Doch sie passen nicht zusammen. Die räumliche Auflösung ist dennoch ein einmaliges Erlebnis, wenn das Publikum für die beiden Choreografien von Charmatz auf die Bühne des Burgtheaters gebeten wird.

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„Aatt enen tionon“ von 1996 ist ein Trio, das auf einem dreistöckigen Gerüst zu Soundmaterial von PJ Harvey getanzt wird. Brachialer Tanz mit vollem Körpereinsatz, nackte Unterkörper, das war 1996 so radikal wie verstörend. Eine Tänzerin und zwei Tänzer stampfen, springen, stürzen zu Boden, so laut und gewaltig, dass sich die Schwingungen des Tanzbodens auf das Publikum übertragen. Volles Risiko ist angesagt, die Kippe zum möglichen Absturz ist nah. Erstaunlich ist, dass der Tanz auf den drei getrennten Ebenen nicht aus drei Soli besteht, sondern durch das Bewegungsvokabular, seltene Berührungen und gelegentliche Synchronität tatsächlich ein Trio ergibt.

Nackte Haut

Die nackte Haut als Kostüm spielt in einem Duo aus „herses“ von 1997 eine noch größere Rolle. Charmatz tanzt es mit Johanna Elisa Lemke immer noch selbst. Hier besticht die Nähe zum um die Tänzer herum am Boden sitzenden Publikum, die Charmatz und Lemke zulassen. Das Paar zeigt verschiedene Stadien einer intimen Beziehung in einer skulpturalen Bildersprache. Vor allem aber wird die Verletzlichkeit von Körper und Geist Schicht für Schicht freigelegt.

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Gasthaus des Vaters

Mit der Übersiedlung des Publikums in den Zuschauerraum des Burgtheaters erfolgt eine Zäsur zu Pina Bauschs 1978 entstandenem „Café Müller“, in dem sie völlig neue Wege im Tanz erschloss. Bausch griff darin Beobachtungen aus dem Gasthaus des Vaters auf. Für die Charakterisierung der drei Tänzerinnen und drei Tänzer fand sie individuelle Bewegungen, die Techniken aus dem Modern Dance und Ballett lediglich als Grundlage für Choreografie und Inszenierung verwendeten.

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Szenen werden im dramaturgisch perfekten Ablauf leicht geändert, nicht aber in den Bewegungsabläufen an sich, der Blick auf die Menschen auf der Bühne wird ständig geschärft. Allein ein kleiner Schritt vermag neue Situationen herbeizuführen, zum Beispiel wenn ein Mann ständig die vielen Sesseln auf der Bühne umwirft, um einer blinden Frau den Weg zu ebnen (sie wurde bei der Uraufführung von Bausch getanzt).

Jede und jeder ist auf der Suche nach Liebe und Berührungen, ein Liebespaar wird dabei permanent von einem brutalen Eindringling gestört. „Café Müller“ bleibt ein großartiges Stück.

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