Kraftklub: Rauchen erst wieder nach dem Tod

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Das neue Kraftklub-Album „Sterben in Karl-Marx-Stadt“ hat viel mit morbiden Themen und mit der Herkunft der Band aus Ostdeutschland zu tun. Für Wien und Graz sind große Stadthallen-Konzerte angekündigt.

Mexico City, September 2023: Kraftklub sind in der Stadt zu Gast. Auf Einladung der lokalen Superstars Panteón Rococó hat das Rap-Rock-Quintett in einem Fußballstadion zwei Mal deren Vorprogramm bestritten, schließt aber auch eigene Shows in Clubs an. Dort jubeln ihnen zwar „nur“ je 250 Mexikaner zu, aber die sprühen vor Energie und singen mit Hingabe die deutschen Texte mit. Eine Erfahrung, die Sänger Felix Kummer als „gigantisch“ und „euphorisierend“ beschreibt.

Was Kraftklub zusätzlich aus Mexiko mitgenommen haben: die Grundidee für ihr eben erschienenes Album „Sterben in Karl-Marx-Stadt“. Gleichzeitig mit ihren Konzerten fand dort nämlich der „Dia de los Muertos“ statt, der Tag, an dem die Mexikaner mit lauten, bunten Festen die Verstorbenen ehren.

Tabuthema

„Bei uns ist das ein Tabuthema, das verklemmt behandelt wird“, erklärt Kummer im KURIER-Gespräch. „In Mexiko habe ich gemerkt, dass das nicht so sein muss. Denn die Mexikaner sind ja nicht respektlos mit dem Tod umgegangen oder haben weniger um ihre Angehörigen getrauert, sondern nur auf eine andere Art.“ Deshalb wollte er sich mit dem nächsten Kraftklub-Album dem Thema mit einer neuen Sprache nähern.

„Ich hatte viele Text-Fragmente zum Sterben in meinen Notizbüchern. Die haben sich über viele Jahre angesammelt, in denen wir als Band gemeinsam durch Trauerphasen gegangen sind, weil wir Freunde, Elternteile und Crewmitglieder verloren haben. Erst nach Mexiko konnte ich mir aber vorstellen, die in Pop-Songs zu verwenden.“

Das geschieht zu gewohnt tanzbaren Sounds humorvoll, wenn Kummer „nur mit dir“ unsterblich sein will, oder plant, nach dem Tod wieder mit dem Rauchen anzufangen. Ernster wird er in dem Song „All die schönen Worte“, den Kraftklub mit Gastmusiker Faber aufgenommen haben. Darin denkt er darüber nach, was ungesagt bliebe, wenn er überraschend sterben würde.

„Karl-Marx-Stadt“ hat das Album im Titel, weil das der frühere Name der Kraftklub-Heimatstadt Chemnitz ist. Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde er geändert, steht aber bei den Musikern noch im Ausweis, weil sie kurz davor geboren wurden. Dieses Aufwachsen in einem ehemals ostdeutschen Gebiet, das heute als Hochburg der Neonazis gilt, prägte schon immer die Songs von Kraftklub und jetzt auch einige von „Sterben in Karl-Marx-Stadt“.

Anderssein

„In Chemnitz wurde uns die Entscheidung, anders zu sein, abgenommen“, erklärt Kummer. „Das ist eine Gegend, wo du dich positionieren musst. Wenn die Neonazis sagten, du bist eine linke Punk-Zecke, die eine aufs Maul verdient, konntest du als Teenager nicht erklären, nein, ich bin eigentlich Hip-Hopper. Das war für die eh das Gleiche. Deshalb war es für uns wichtig, Orte zu finden, wo wir dieses Anderssein kultivieren konnten, weil wir uns dadurch nicht mehr so allein gefühlt haben.“

Das Gefühl, nicht allein zu sein, wollten Kraftklub auch geben, als sie Ende August am „Christopher Street Day“ in Bautzen auftraten, auf einer Demo für die Rechte der LGBT-Community, die dort auf einen Gewalt androhenden Neonazi-Aufmarsch traf. Gruselig, sagt Kummer, sei das gewesen. „Faschos prügeln immer gerne auf Schwächere und Minderheiten ein, die in der Unterzahl sind. Deswegen ist der konstruktivste Ansatz gegen die rechtsextremen Tendenzen in unserer Gegend, mit alternativen Jugendzentren Rückzugsräume zu schaffen, wie wir sie hatten. Orte, wo sich queere Menschen, Transpersonen und alle anderen sicher fühlen können. Das sind dann auch Orte, in denen Widerstand erwachsen kann. Denn es ist wichtig, dass Neonazis auf Leute treffen, die sich wehren.“

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Viele Ks auf der Zigarettenpackung: Kraftklub rund um Sänger Felix Kummer (2. v. li.).

Konzerte in Österreich

Obwohl sich Kraftklub nicht als politische Band sehen, will Kummer, dass sein Publikum weiß, wo er und seine Freunde stehen: „Schon alleine, weil wir mit den weißen Polohemden und roten Hosenträgern nach außen hin sehr anschlussfähig wirken. Gleichzeitig sind wir in erster Linie Musiker, und ich finde es peinlich, wenn Popstars belehren wollen, was richtig und was falsch ist. Ich kann akzeptieren, wenn Leute anderer Meinung sind als ich. Aber das erwarte ich auch umgekehrt. Als Zuschauer braucht man nicht glauben, dass wir auf der Bühne stehen, ein paar schöne Lieder singen und ansonsten die Klappe halten. Die Leute müssen wissen, dass sie mit ihren 65 Euro Eintrittsgeld fünf Typen unterstützen, die unser sächsischer Ministerpräsident als unmögliche linke Band bezeichnet.“

Dem Erfolg der Band hat diese Haltung nicht geschadet. Am 7. und 8. März wird das Quintett in den Stadthallen von Graz und Wien auftreten. „Das ist total verrückt“, sagt Kummer mit ungläubigem Unterton. „Unser erster Wien-Auftritt war im B72 und jetzt ist die Wiener Stadthalle kurz vor ausverkauft!“

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