Virtuoses Gedenken mit Tiefsinn: Igor Levit im Musikverein

Kritik. Vor 50 Jahren verstarb Dmitri Schostakowitsch. Aus diesem Anlass ließ der Musikverein den Pianisten Igor Levit eine Konzertreihe gestalten. Unvergesslich bleibt Levits Schostakowitsch-Marathon bei den Salzburger Festspielen. Über drei Stunden spielte er sich 2017 virtuos durch dessen Mammutwerk „Präludien und Fugen“. Es wäre wahrscheinlich für ihn einfach gewesen, diese zu wiederholen. Doch Levit gestaltete die fünfteilige Konzertreihe „Musik des Angedenkens“, die er als Solist und mit anderen Musikern, wie Adam Fischer und dem Mahler Chamber Orchestra, der Cellistin Julia Hagen und anderen bis 22.10. bestreitet.
In die Gegenwart
Sein Programm geht weit über ein schlichtes in Memoriam Schostakowitsch hinaus. Levit weitet darin den Begriff „Gedenken“ so aus, dass er direkt in die düstere Gegenwart führt und nicht zuletzt an jene denken lässt, die vom Terrorangriff der Hamas getroffen wurden.
Denn mit Maurice Ravels „Kaddish“ hob er am ersten Abend sein Solokonzert an. Bei seinem hochkonzentrierten Spiel traf pianistische Feinfühligkeit auf Tiefsinn. Bei Schostakowitschs Sonate in h-Moll ließ Levit furios jede Nuance hören und changierte zwischen Bedrohung und Trotz. Stundenlang könnte man ihm zuhören, wenn er bei Mendelssohns „Liedern ohne Worte“ zum Erzähler am Klavier wird. Beim „Trauermarsch“ stellte er klar heraus, wie sich Mahler von diesem Komponisten inspirieren ließ. Seine extrem harten Anschläge beim „Volkslied“ kontrastierte er am Ende dieses Blocks mit überirdischer Zartheit. Zur Offenbarung geriet Beethovens op. 111. Wie oft hat man diese Sonate schon von ihm gehört. Mit dieser Aufführung aber setzte er sich selbst neue Maßstäbe. Furios führte er ans grelle Licht. Virtuos ließ er einen Hauch von Blues und anderen Schwingungen durchwehen.
Der zweite Abend mit Günther Groissböck schrieb sich auch außerkünstlerisch in die Unvergesslichkeit ein. Denn der Opernsänger trat trotz schwerer Erkältung auf (daher keine Sternewertung). Intensiv kämpfte sich Groissböck durch Ravels „Kaddish“, das auch hier den Auftakt gab. Schostakowitschs „Suite nach Gedichten von Michelangelo Buonarroti“ intonierte er mit gefährlich klingendem Espressivo. Mit vier Liedern aus Mahlers „Des Knaben Wunderhorn“ setzte er bewegend sein Ringen fort. Bei Liszts „Petrarca-Sonetten“ war dann abrupt Schluss. Das Publikum bejubelte beide nach einer vierhändigen Zugabe am Klavier. S. Zobl
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