Kappacher war im "Land der roten Steine"

Ein Mann kauert am Ufer und fotografiert mit einer kleinen Kamera.
Mit 73 hat der Büchner-Preisträger seinen allerbesten Roman vorgelegt. Er gibt die Kraft, um gelassen zu bleiben.

Es gibt kein allgemeingültiges Wort dafür. Die Sprache versagt, Fotos können das schon überhaupt nicht einfangen – außerdem ist es sehr intim, wenn man dem Unbegreiflichen, also Gott, nah ist.

Walter Kappacher setzt deshalb für das, was er im Canyonlands-Nationalpark (US-Staat Utah) gesehen und gespürt hat, ein Fragezeichen dazu.

Heimat?

Paradies?

Schneewechten

Paradies am ehesten, weil es doch heißt: Ein Blick ins Paradies sorgt für Gelassenheit, man kann sich selbst danach mit allen Fehlern und Schwächen besser aushalten.

Und das trifft auf die Hauptperson in "Land der roten Steine" , den pensionierten Gasteiner Arzt Wessely, zu.

Die Eltern tot, die Frau tot, der Freund tot, ... aber vielleicht kommt ihn ja die in Kanada lebende Tochter doch einmal besuchen ... und vielleicht kehrt die fesche Urlauberin nach Gastein zurück ... jedenfalls freut sich der soeben vom USA-Urlaub zurückgekehrte Wessely hier und jetzt und ganz schlicht und einfach über die unberührten Schneewechten an den Wegrändern des Kötschachtals.

Ist ja auch nicht übel.

Wesselys Leben war ja nicht nichts bisher. Vielleicht hatte er etwas zu sehr für seine Patienten gelebt.

Jedenfalls braucht es keine großen Veränderungen. Er muss kein neuer Mensch werden.

Die Reise hat ihm das Gefühl der Unendlichkeit gegeben; und das hat ihn befreit.

Felsenlabyrinth

Der Salzburger Büchner-Preisträger Walter Kappacher, 73, war tatsächlich in "The Maze", dem selten besuchten innersten Felsenlabyrinth des Nationalparks.

Ins zerklüftete "Land Of Standing Rocks".

Ein indianischer Führer hatte ihn tagelang im Jeep zu den Steinmonumenten gebracht.

Einer der Felsen schaut aus wie ein Kerzenhalter.

Einer wie ein Rauchfang. Und einer wie ein verfallender Turm. Welche Macht hat da vor vielen Millionen die Skulpturen geformt?

Zur richtigen Zeit wurde er alleingelassen bei den roten Steinen, den schwarzen Bäumen, bei den violetten Wänden, im orangen Sand ...

Kappacher fiel in Trance.

Zumindest das ist das Autobiografische im Roman, in dem der Schriftsteller, der große Stille, Worte findet, die ein Platz zum Ausrasten sind.

Auch wenn er immer sagt, er habe mit Stifter nur die Vorliebe zur Natur gemeinsam (als Zuflucht des Geistes): Adalbert Stifter klettert mit, wenn Wessely zu einem ausgetrockneten Flussbett und zu indianischen Felsmalereien steigt.

Und Beckett und Kafka – Kappachers Vorbilder –, die kommen nach.

Ameisen

Das Cover des Buches „Land der roten Steine“ von Walter Kappacher zeigt eine Person in einer Felslandschaft.

Walter Kappacher ist kein einfacher Interview-Partner. Einmal antwortet er: "Steht das nicht ohnehin im Buch?"

Man muss ja wirklich nicht alles "zerreden".

Abgestumpft darf man halt nicht sein beim Lesen. Dann reicht es die ungeheuren Kräfte von "The Maze" weiter und man erkennt vielleicht, wie wenig Wesentliches gibt im Leben.

Ob man in die USA fahren muss, um zu schauen und zu verstehen? Kappacher ist bekannt dafür, dass er das Schilf bei seinem Wohnort Obertrum im Wandel der Jahreszeiten fotografiert.

Nein, das Schilf sei nicht vergleichbar. Und Wolken? Oder Ameisen? "Ja, wenn man Ameisen zuschaut, könnte es auch gelingen."

KURIER-Wertung: ***** von *****

Michael Ondaatje – "Katzentisch"

Das Cover des Romans „Katzentisch“ von Michael Ondaatje zeigt ein Schiff vor tropischer Kulisse.

"Katzentisch" ist die romantische Vorstellung davon, was Literatur sein kann. Eine Erzählung, die Träume und Erinnerungen einfängt und wehmütige, heitere Bilder davon malt.

"Als ich in den Wagen stieg, sagte man mir, nachdem ich den Indischen Ozean und den Golf von Aden und das Rote Meer durchquert hätte und durch den Suezkanal in das Mittelmeer gelangt wäre, würde ich eines Morgens an einem kleinen Pier in England anlegen, und dort würde meine Mutter mich abholen." Ondaatjes Erzähler, der Bub Michael, macht sich auf die Reise an Bord eines Ozeandampfers, wo er am "Katzentisch" Platz nehmen wird.

Ondaatje – der mit dem Roman "Der englische Patient" weltberühmt wurde – wurde 1934 in Colombo, auf der Insel, die damals noch Ceylon und nicht Sri Lanka hieß, geboren. Er emigrierte im Alter von neun Jahren zu seiner Mutter nach London, lebt seit 1963 in Toronto. Dass die Reise des elfjährigen Erzählers von "Katzentisch" Parallelen zu seiner Kindheit haben könnte, verneint der Autor im Nachwort.

Es sind drei Elfjährige, die in den frühen Fünfzigerjahren mit dem Schiff von Ceylon nach England reisen. Sie erkunden die sieben Decks des Ozeanriesen "Oronsay" und beschließen, jeden Tag ein Verbot zu übertreten. Sie stibitzen im Morgengrauen vom Frühstücksbuffet der feinen Leute und verstecken sich in Rettungsbooten. Sie tauchen im Pool am Erste-Klasse-Deck. Sie probieren Alkohol, erforschen mit einem kiffenden Botaniker dessen Drogengewächshaus im Schiffsbauch; sie assistieren einem diebischen Baron, und sie schmuggeln ein Hündchen an Bord. Sie gehören nicht zur feinen Schiffsgesellschaft, sondern müssen am Katzentisch Platz nehmen. Gemeinsam mit anderen Außenseitern, durchwegs Persönlichkeiten mit ungewöhnlichen Lebensgeschichten. Der melancholische Pianist Mazappa, der die Buben mit obszönen Lieder unterhält; die altjüngferliche Brieftaubenbetreuerin Miss Lasquetidie, der merkwürdige Artist und die begehrte Emily. Zauberhaft.

Barbara Mader

KURIER-Wertung: ***** von *****

Tonino Guerra – "Scheuer Vogel Traum"

Das Cover des Buches „Scheuer Vogel Traum“ von Tonino Guerra mit einem abstrakten Gemälde.

Tonino Guerra 91 ist der Italiener. Einer vom Land. Froh, nach den römischen Jahren, wieder im Dorf seiner Geburt, Santarcangelo di Romagna zu sein. Einst war er "der Dichter des Kinos". An 100 Filmen arbeitete er mit ("Die rote Wüste" von Antonioni, "Amacord" von Fellini ). Seine Bodenständigkeit, sein spitzbübischer Blick auf scheinbar Nebensächliches nährte die Filmkünstler.

Und er schreibt weiter: Das Lesebuch "Scheuer Vogel Traum" streift durch seine ungekünstelte Poesie. Ein Beispiel, genannt "der Teller": "Ein Bauer ließ, als er merkte, dass seine Frau ihn betrogen hatte, für drei Personen decken. Ihr ganzes Leben lang aßen sie, den Blick auf den dritten Teller gerichtet, der leer vor ihnen stand."

Peter Pisa

KURIER-Wertung: **** von *****

Monica Kristensen – "Snow Queen of Crime"

Das Cover des Romans „Suche“ von Monica Kristensen zeigt einen Eisberg.

Was kann da schiefgehen? Die Polarnacht auf Spitzbergen ist dunkel genug für einen Krimi. Außerdem gibt es in der 2000-Einwohner-Haupstadt Longyearbyen Kohlegruben, die sind noch finsterer, und vor allem: Graben in Schacht 7 fünf Arbeiter, so ist ein sechster Mann dabei. Sehr seltsam.

Aus dem Kindergarten verschwindet ein Mädchen, und nur das eine nervt: Dass der Leser vier Mal hintereinander erfährt, das Schnappschloss der Tür sei zu hoch für ein Kind zum Aufmachen. Wir haben verstanden! Und längst die Fußspuren eines Erwachsenen im Schnee entdeckt ...

Autorin Monica Kristensen ist eine bekannte norwegische Polarforscherin. Den Titel "Snow Queen of Crime" hat sie sich in ihrer Heimat bereits erworben. Der Auftakt zu ihrer Spitzbergen-Serie ist vielversprechend.

Peter Pisa

KURIER-Wertung: **** von *****

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