"Juices" im Schauspielhaus Wien: Da tanzen die Spargel

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In dem Stück "Juices" von Ewe Benbenek wird unsentimental von harten Erlebnissen erzählt, die Menschen mit Migrationsgeschichte haben.

Von Susanne Zobel

Mit letzter Kraft klammert sich die Hand an den „Czandelier“. Der Absturz droht. Stress und Angst treiben den Betroffenen den Schweiß aus den Poren.

Die Körpersäfte geben Ewe Benbeneks jüngstem Stück „Juices“ den Titel. Ihr Debüt, „Tragödienbastard“, verschaffte ihr 2021 den Mülheimer Dramatikpreis. Das Schauspielhaus hat den autobiografisch gefärbten Text 2020 zur Uraufführung gebracht und zeigt jetzt das zweite in einer Koproduktion mit der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien (MUK) in einer Inszenierung von Florentine Krafft mit acht Studierenden des 3. Jahrgangs (Lara Horvath, Marko Kerezović, Maxim Lohse, Jakob Merkle, Tara Michelsen, Konstantin Mues Bœuf, Una Nowak und Jasmin Weißmann).

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"Juices" am Schauspielhaus Wien.

Auch in diesem Stück erzählt Benbenek von ihrem Leben. 1985 in Polen geboren, kam sie als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland. Sie studierte Kultur-, Politik- und Literaturwissenschaft in Frankfurt und London. In ihren Stücken geht es um Menschen mit Migrationshintergrund, die den sozialen Aufstieg geschafft haben und ständig um das Erreichte bangen.

Kein Leidenskitsch

„Wie davon erzählen, wenn man keinen Leidenskitsch verbreiten will, nicht in die Klassismusklischees rutschen will, keinen Working-Class-Erinnerungsporn schreiben will?“, kommentierte die Autorin ihr Stück.

Am besten so wie sie, in einer kunstvollen, leicht schwebenden Sprache. Diese bringt Krafft mit ihrem Ensemble in jeder Hinsicht zur Entfaltung. Im Zentrum steht der „Czandelier“, ein gigantischer Kronleuchter aus blauen und weißen Kübeln, der in der Mitte der pastellgrünen Bühne (Matthias Dielacher, China Lehmann) von der Decke hängt. Ein Symbol für den sozialen Aufstieg. Das Ensemble ist in fantasievolle, graue Business-Outfits gekleidet, agiert wie ein Kollektiv aus einem surrealen Film, perfekt aufeinander abgestimmt werden die Wörter weitergeben.

Nonchalant erzählen die Personen von bedrückenden Dingen. Etwa, wie sie den Kontakt zur Mutter verloren haben. Sie blicken auf die Zeit zurück, als sie noch Kinder waren und zugesehen haben, wie die Mutter Büros putzt und von den Deutschen ignoriert wird, als wäre sie gar nicht vorhanden. Das wird ohne Pathos erzählt.

Die bedrückenden Momente konterkariert Krafft mit absurden Einlagen. Wenn etwa davon die Rede ist, wie die Mutter als Erntehelferin gearbeitet hat, verwandeln sich alle im Ensemble in Spargel und führen einen Tanz auf. Auch Kritik am Umgang mit sogenannten Gastarbeitern in der BRD und in Österreich in den 1960er und 70er-Jahren wird eingeflochten.

Am Ende wirkt dieses kollektive Ich wie befreit. Es kann endlich den Kronleuchter loslassen. Jubel für einen furiosen Text und ein junges Ensemble, dem man das Beste für die Zukunft wünscht.

 

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