Joseph Roth wünscht: Ewige Ostern

Ich hege den kindischen Wunsch, ewige Ostern zu genießen, Ich möchte eine unaufhörliche Kette von Auferstehungen erleben und den tröstenden Gesang der Osterglocken in einen Dauerchoral verwandelt wissen.
Ich möchte ein ganzes Leben lang sehen, wie die schüchternen Knospen an den jugendlichen Weidenruten ihre Miederleibchen sprengen und wissen, dass morgen oder übermorgen die weißen Kastanienkerzen sich entzünden und der goldene Goldregen zu blühen anfängt, dem die Sonne ihre glühende Farbe verleiht.
Ich wünschte, dass die große Natur ewig eine Ausflugsgegend bliebe; dass die Büsche an den Zäunen die Verbotstafeln verhüllten und der linde Regen die Strafandrohungen wegschwemmte, die uns das Betreten der schönsten Wege unmöglich machen.
Aufs Wunder warten
Ich stelle mir vor, dass es den kleinen Mädchen aus den Büros und Fabriken nicht schaden könnte, wenn sie Tag für Tag in ihren weißen Blusen, aller Sorgen ledig und auf das Wunder wartend, das sie verdienen, durch sonnige Straßen schlendern dürften, wie Schneeglöckchen, die gehen können.
Lasterhaft genug bin ich, um den Schmerz zu entbehren und die Theorien des frommen Lesebuches in ihr Gegenteil zu verwandeln.
Ich weiß, dass eine ganze Anzahl Menschen so lebt, als gäbe es immer Ostern, und dass es ihnen gutgeht. Sie haben den ewigen Glockenklang in den Ohren. Sie kümmern sich nicht um Verbotstafeln. Es sind die chronisch Feiertäglichen, die dauernden Spaziergänger, und sie sehnen sich nicht nach der Mühsal.
Es müssten wunderbare Tage sein, denen kein schaler Morgen mehr folgte, erfüllt von der Hast des Erwerbes und von der Arbeit, die ein Segen ist für die Arbeitgeber.
Ich möchte, dass unsere Morgen Gold im Munde haben, unsere Mittage festlich und stolz werden und unsere Abende nicht müder Abschluss eines Tages, sondern friedliche Dämmerpause zwischen Wachen und Schlaf.
Dass der Frühling nicht eine entlehnte Freude für schnell verrinnende Stunden bliebe, sondern köstlicher Besitz.
Nicht tauschen
In den großen und schönen Gotteshäusern der Welt vernimmt eine gläubige Menschheit Trost und Verheißung für eine Zukunft, die es nicht mehr auf Erden geben soll, sondern im Himmel.
Ich sehe mir den Himmel an und stelle fest, dass er unendlich ist und blau und durchsichtig. Und ich möchte nicht gerne die ewigen Ostern dieser Erde gegen ein jenseitiges Osterfest tauschen.
Denn ich weiß nicht, ob in den himmlischen Gefilden die liebe Sonnenblume wächst und ob die Primel in den metaphysischen Wäldern blüht und der blassblaue Flieder an den Gartenzäunen Gottes.
Es ist ein sündhafter Irrtum, dass man gekreuzigt werden muss, um aufzuerstehen. Aber wunderbar ist die Legende von der Auferstehung der Lebendigen ...
Joseph Roth wurde 1894 in Brody in Ostgalizien in eine jüdische Kaufmannsfamilie geboren. Als Journalist und Schriftsteller wurde als Chronist der untergehenden Monarchie. Der schwere Alkoholiker starb 1939 im Paris Exil.
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