"Jedermann": Kampffeiern bis zum Weltgericht

Am Schluss dann – man verrät hier ja kein unbekanntes Ende – schmeißt der Tod, in nachlässiger Geste, ein Tuch über den Jedermann.
Man steht schon jenseits der Tragödie, im Naturzustand des Totseins. Alles ist geklärt, nur eine Frage bleibt wieder ungelöst: Warum einen dieses Spiel, das nicht die Grundlagen, sondern den kleinsten gemeinsamen Nenner der Moral verhandelt, trotz allem so berührt.
Das hat es auch heuer wieder, bei der Premiere am Samstagabend, bei bestem Wetter am Domplatz. Es ist die zweite Spielzeit der "Jedermann"-Inszenierung von Brian Mertes und Julian Crouch, die sich dem Spiel vom Sterben des reichen Mannes auf handwerklich erfreuliche Weise näherten: Der "Jedermann" ist hier ein Gauklertheater, mit Puppen, blumengeschmückten Fahrrädern und Tierkopfmasken.
Mit einem riesigen weißen Tuch, das zuerst die Buhlschaft in ihrem Kleid (rot, mit vielen Glitzersteinen) verbirgt, dann den Partytisch (und alles Anzügliche, das darunter passiert) bedeckt. Und das gleich darauf den Tod umhüllt, dann, leichentuchgleich, über die Bühne geschleppt wird.
Jedermann: Die Geschichte in Bildern
Es ist handgemachtes, auf aufwendige Art ursprüngliches, zeitloses Theater, mit dem man sich hier dem ebenso aus der Zeit gefallenen Hofmannsthal-Text nähert.
Feiner Theaterzauber stäubt hier aus kleinen Bildern. Wenn etwa die Werke zuerst ein liebes, aber dünnschwächliches Handmarionetterl sind. Dann aber die Puppenspielerin (toll: Sarah Viktoria Frick) aus dem schwarzen Puppenspielergewand steigt und nun genauso aussieht wie die Puppe, nur jetzt: Groß und stark und jene einzige weltliche Errungenschaft, die den Jedermann vor’s Weltgericht begleitet. Oder wenn der Glaube (Hans Peter Hallwachs), in lichter Höhe sitzend, eine Waschschüssel über den Jedermann ausgießt, ihn so tauft und jenem (naiven Kinder-)Glauben zuführt, der ihm das Sterben ermöglicht.
Flucht
Cornelius Obonya ist ein Jedermann, der es doppelt schwierig hat: Ihn rührt nicht nur die ganze Sache mit dem Weltgericht und dem Sterben. Er hat auch zuvor schon keinen rechten Spaß an jenem großspurigen Leben, das er in den moralischen Sand setzt. Der reiche Mann ist hier auf aufgeregter, hochtouriger Flucht vor der Innerlichkeit, die ihm nicht wesensfremd ist, sondern ihn schon in seinen besten Zeiten bedroht. Das ist stimmig, intensiv und erfreulich. Brigitte Hobmeier als Buhlschaft kommt allzu rasant auf die Bühne gestürzt, wird am Ende ruppig von selbiger gestoßen.
Und ist dazwischen ein Energiebündel, das angesichts des Jedermann’schen Untergangs rasch das emotionale Weite sucht.
Im Zentrum steht der Tod, und das ist ausnahmsweise gut so: Denn Peter Lohmeyer als sich windender, schlaksiger Tod auf High Heels ist der wohl bleibendste Eindruck des Abends. Ganz wird ihm der Sieg letztlich nicht gegönnt: Das Ensemble bannt ihn mit trotzigen Tänzen für das Leben, während es, zwischen dem Publikum hindurch, entschwindet.
KURIER-Wertung:
TIPP: Am Sonntagabend (20.7.) ist der „Jedermann“ übrigens im Fernsehen zu sehen: Die Aufzeichnung der aktuellen „Jedermann“-Produktion aus dem Vorjahr wird um 20.15 Uhr in ORF III ausgestrahlt.
Jedermann, die zweite Runde
Die Inszenierung Heuer zum zweiten Mal zu sehen. In Details nachgeschärftes Gauklertheater, das sich dem Hofmannsthal-Text auf zeitlose Art nähert, und ihn ernster nimmt, als man müsste. Puppen, Masken, einfache, aber ausgeklügelte Requisiten.
Das Ensemble Cornelius Obonya ist ein übertouriger Jedermann, Brigitte Hobmeier als Buhlschaft ein Energiebündel. Peter Lohmeyer als Tod ist ein Ereignis, ebenso Sarah Viktoria Frick als Werke.
Auf dem Höhepunkt werden die Natur und die Menschen euphorisch gefeiert."
Das gilt für das Sufi-Ritual, dessen Musik sich die heute startende "Ouverture spirituelle" zu den Salzburger Festspielen widmet. Und es ist zugleich die zentrale Frage, die die letzte Saison von Intendant Alexander Pereira beantworten wird: Die Aufreger sind leidlich ausgekostet. Jetzt geht es darum, ob die künstlerische Bilanz in Summe Grund zum "euphorisch Feiern" geben wird.

Es sind die Festspiele der Weichenstellungen: Pereira wechselt an die MailänderScala. Der Interimschef Sven-Eric Bechtolf, der die Festspiele 2015 und 2016 mit Präsidentin Helga Rabl-Stadler leiten wird, steht in den Startlöchern. Und der künftige Intendant Markus Hinterhäuser plant bereits für 2017. Heuer aber sind es die letzten Pereira-Spiele, und diese werden auf einige Zeit die spektakulärsten und aufwendigsten bleiben.
Denn ab 2015 treten die Festspiele, die zuletzt vom Streit um die eigene Größe geprägt waren, auf die Bremse. Das Programmangebot wird zurückgefahren, und es wird auch weniger Karten geben. Die "Ouverture spirtuelle" ist ebenso gestrichen wie der Festspielball.
Bilder: Höhepunkte 2014 in Salzburg und im TV
Heuer aber gilt noch einmal: nicht weniger, sondern mehr ist mehr. Am Beginn steht die "Schöpfung": Am Freitag, 18.7., startet mit Bernard Haitink am Pult des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks die "Ouverture spirituelle", das Konzert-Vorprogramm zu den Festspielen. Es folgt der "Jedermann" (Premiere: Samstag), Cornelius Obonya geht in der Inszenierung von Julian Crouch und Brian Mertes in die zweite Spielzeit. Die kommende Woche ist geprägt von Konzerten mit Klassik und Sufi-Musik.

Und rund um die offizielle Eröffnung am 27. Juli gibt es die ersten der ganz großen Highlights. So geht mit "Don Giovanni" der Mozart/Da Ponte-Zyklus in die zweite Runde. Regie führt abermals Sven-Eric Bechtolf; Dirigent ist erneut Christoph Eschenbach. Ab 2015 kommen neben Eschenbach auch Dan Ettinger bei "Le nozze di Figaro" und Alain Altinoglu bei der "Così"-Wiederaufnahme zum Zug. Heuer steht am 28. Juli auch noch eine Uraufführung an: "Charlotte Salomon" von Marc-André Dalbavie (auch Dirigent) und in der Inszenierung von Luc Bondy.
Zum Strauss-Jahr gibt es einen neuen "Rosenkavalier" (Regie: Harry Kupfer, Dirigent: Franz Welser-Möst).
Ein Top-Spektakel wird Verdis "Il Trovatore" in der Inszenierung von Alvis Hermanis, mit Dirigent Daniele Gatti und den Superstars Anna Netrebko sowie Plácido Domingo. Im Schauspielbereich stehen Kraus’ "Die letzten Tage der Menschheit" im Zentrum; auf dem Konzertsektor bittet Starpianist Rudolf Buchbinder mit allen 32 Beethoven-Klaviersonaten zu einem Marathon.

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