Jean Cocteau: Schwindeln ist besser
Echt zu sein, „normal“ sozusagen, das war für
Jean Cocteau eine Zumutung: Ein erfundenes Ich sei der amtlichen Figur mit dem faden Foto im Ausweis jederzeit vorzuziehen.
Damit man den Franzosen – Dichter, Maler, Filmregisseur; Freund von Proust, Picasso, Piaf; opiumsüchtig; bisexuell ... noch was? – damit man ihn besser versteht, ist sein kurzer, berühmter Roman „Thomas der Schwindler“ neu übersetzt worden.
Nahezu ein Selbstporträt (bemerkt Iris Radisch in ihrem klug distanzierten Nachwort).
Cocteau war, gegen seinen ausdrücklichen Willen – er hatte sich freiwillig gemeldet – für die Front untauglich befunden worden. Daraufhin organisierte er Verwundetentransporte und trug, Meister der Selbstinszenierung, in Paris eine goldene Fantasieuniform.
In „
Thomas, der Schwindler“ ist das nicht viel anders.
Der Held, anfangs 17 Jahre alt, macht sich älter, um Soldat sein zu können.
Er gibt sich als Neffe des legendären Generals Fontenay aus, dabei ist er doch bloß in einem der vielen Orte mit dem Namen Fontenay geboren worden.
Er verschmilzt mit der Rolle, kann darin nichts Verwerfliches sehen, und als seine Tante die Wahrheit verkündet, wird sie weggeschickt. Denn alle fahren gut mit der Lüge.
Mit Prinzessin de Bormes reist Thomas (zum Vergnügen!) an die Front, wo Kekse verteilt werden und Theater gespielt wird – es wird zu einer Schlacht gegen die Realität.
Ein Soldat hat keine Arme mehr, als er sich aufrichtet, greift er trotzdem reflexartig nach einer Haltetstange und fällt um.
„Ich habe einen ganz ohne Beine!“, ruft eine der Helferinnen hocherfreut.
Man meint, den Schluss vor sich zu haben, wenn Thomas von den Deutschen erschossen wird ... Zitat:
„Wenn ich mich nicht tot stelle, bin ich verloren.“
Er ist verloren. Er ist tot.
Das wäre das Ende dieser Operette. Ist es aber nicht. Es hätte Jean Cocteaus Philosophie widersprochen.
Deshalb schaut er auf der allerletzten Seite auf den Friedhof, und da steht auf dem Kreuz, dass hier einer der de Fontenays begraben liegt.
Die Lüge hat gesiegt.
Wie man ja ohnehin jeden Tag sieht.
Jean Cocteau:
„Thomas
der Schwindler“
Übersetzt von Claudia
Kalscheuer.
Nachwort von
Iris Radisch.
Manesse Verlag.
192 Seiten.
20,60 Euro.
KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern
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