Mit der Ehe fängt das Schlimme an

so weiß“: Javier Marías, 64
Nur damit wir uns verstehen: Da sagt der spanische Filmregisseur Don Eduardo Muriel zu Beginn von "So fängt das Schlimme an", dass er etwas sagen will, und zwar über einen Freund und dessen "schamloses" Verhalten Frauen gegenüber / der eigenen Ehefrau gegenüber.
Nach 70 Buchseiten wird derjenige, dem es – stellvertretend für uns Leser – anvertraut werden soll, leicht unrund:
WAS LOS MIT DIR???
Aber er erfährt noch immer nichts, er bekommt von Don Eduardo nur die Rüge zu hören: "Wie eilig du es hast, mein ungeduldiger Freund!"
Lügenmärchen
Javier Marías hat ja recht. Weshalb sollen wir unstummeln? Weshalb sogar beim Lesen schnell sein?
Wer diese schönen und schön langen Sätze des spanischen Nobelpreis-Kandidaten nicht zu schätzen weiß, wird zumindest einsehen:
Marías kennt die Menschen. Man kann von ihm einiges lernen.
Durchaus möglich, dass er selbst, als er mit dem Schreiben des Romans begonnen hat, noch gar nicht genau wusste, wie er uns wohin steuert und warum.
Es kann sein, dass er zunächst generell die Verlogenheit zeigen wollte, die Täuschungen entlang der Linie zwischen Franco-Diktatur und Demokratie:
Denn plötzlich konnten alle ungestraft Lügenmärchen erzählen: dass sie eh Widerstand geleistet hatten und so weiter. Es gab eine Generalamnestie. Man schwieg über alles. Gerechtigkeit gab es nicht, gibt es nicht.
Wahrheit gibt es nicht.
"So fängt das Schlimme an" (wie so oft bei Marías ein Shakespeare-Zitat im Titel) spielt hauptsächlich 1980: Langsam erst wurde in Spanien wieder eine Scheidung möglich.
Franco hatte sie verboten, denn Klerikalfaschismus brauchte Klerus.
Man war zum Zusammenbleiben gezwungen.
Nie geheiratet
In dieser Zeit sehen wir den Filmregisseur, wie er seine etwa 40-jährige Ehefrau Beatriz berührt, als wäre sie ein Mehlsack.
Wie er sie ansieht, als wäre sie ein Elefant.
Wie er sie "Talgkloß" schimpft und Schlimmeres,
Und sie, Beatriz, sie fleht trotzdem um seine Liebe: "Es tut mir leid, Liebling, dass ich dir wehgetan habe!"
Was ist da passiert?
Das werden wir hier mit Sicherheit nicht verraten, denn das wäre so wie: Jemand bestellt eine Melange und ein Kipferl, ein weiches Ei und Honig und Butter ... und am Nebentisch sagt ein anderer bloß zwei Wörter:
"Mir auch."
Nein, das kann nicht sein, dass einer die ganze Arbeit hat. Denn es ist schon auch Arbeit, das Geheimnis dieser Ehe zu ergründen.
(Javier Marias, eben 64 geworden, war übrigens noch nie verheiratet. Er mag die Ehe nicht. Er mag nicht, dass jemand alles mitkriegt, was er tut.)
Filmstars
Ginge es nur um diese eine Antwort, warum Don Eduardo derart gemein ist – die 640 Seiten Roman hätten eine feine 100-Seiten-Novelle sein MÜSSEN.
Aber es geht ums Flanieren im Kopf. Man begegnet im Buch Perversitäten der Geschichte – Marías Vater (Philosoph) war ein Verfolgter des Franco-Regimes.
Man begegnet Filmschauspielern wie Jack Palance und Herbert Lom – Onkel Jess Franco war Filmregisseur (Horror, Porno).
Die Traumwelt des Kinos passt hervorragend zur hohen Kunst der Täuschungen, die Javier Marías seit seinem Weltbestseller "Mein Herz so weiß" von Mal zu Mal für uns durchschaut hat.
Info: Javier Marías: „So fängt das Schlimme an“. Übersetzt von Susanne Lange. Verlag S. Fischer. 640 Seiten. 25,70 Euro.
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