Die französische Starschauspielerin über ihren aktuellen Film „Die Gewerkschafterin“, über Theater und ihre Lieblingskinos in Paris (Von Susanne Lintl).
07.05.23, 16:26
Sie klingt angeschlagen, ist verschnupft, verkühlt. Will nur telefonieren, nicht zoomen. Nicht gesehen werden. Aber es wäre nicht Isabelle Huppert, Profi, durch und durch, würde sie nicht trotz ihres angeschlagenen Gesundheitszustands all ihre Termine wahrnehmen.
Huppert, Frankreichs beständigster Kino- und Theaterstar, ist vor Kurzem 70 Jahre alt geworden. Müde ist sie kein bisschen. Mit unerschöpflichem Elan dreht sie Film um Film – interessante Filme, künstlerische Filme, kontroverse Filme, manchmal, wenn auch selten, einfach lustige.
Madame ist wandelbar wie kaum eine ihrer Kolleginnen, und sie ist getrieben von einer unstillbaren Neugier. „Es ist immer noch ein existentielles Abenteuer für mich, einen Film zu drehen“, sagt sie. Sie liebe dieses „plaisir du changement“, dieses Vergnügen am Rollenwechsel, diese Wonne, eine andere zu sein. „Es gibt immer einen Weg, der vor dir liegt. Und es ist nie derselbe.“
Verbotene Deals
In ihrem aktuellen Film „Die Gewerkschafterin“ von Regisseur Jean-Paul Salomé (Kinostart in Österreich: 12. Mai) schlüpft die Diva in die Rolle der (real existierenden) Belegschaftsvertreterin Maureen Kearney, die verbotene Deals der französischen Atomindustrie aufdeckte und so ins Visier ihrer mächtigen Vorgesetzten geriet. Diese schreckten vor nichts zurück: Kearney wurde in ihrem Haus von Unbekannten überfallen und sexuell misshandelt. Unterkriegen ließ sie sich dennoch nicht.
Eine Rolle, wie sie Huppert gefällt: „Maureen ist eine Frau, die sich um eine Sache, die ihr am Herzen liegt, streitet und hart kämpft. Sie steckt ihre ganze Energie in diesen Kampf, weil ihr die Menschen, mit denen sie arbeitet, am Herzen liegen. Dabei merkt sie gar nicht, in welche Gefahr sie sich mit ihrem Idealismus begibt. Sie rechnet nicht mit der Gewalt, die ihr angetan wird.“
Dass man an ihren Worten, an ihrer Darstellung des brutalen Überfalls, zweifle, sei ungeheuerlich: „Das ist genau die Art von psychologischer Gewalt, der Frauen oft ausgesetzt sind. Diese zusätzliche Demütigung, dass ihren Aussagen kein Glaube geschenkt wird“.
In der Opferrolle sieht Huppert sich in ihrer Filmrolle – stets elegant gekleidet, perfekt frisiert und geschminkt, rhetorisch fit – keineswegs: „Wie sollte sich ein Opfer verhalten, um das ideale Opfer zu sein? Entspricht man nicht dem Opferklischee, so weckt man gleich Zweifel und Vorurteile. Man verleiht der Vorverurteilung der Leute eine gewisse Legitimität. Sogar jener der Justizbehörden, die Maureen nicht glauben wollten.“ Und sie selbst? Ist sie auch so eine starke Frau? Huppert dementiert energisch: „Ich mag es nicht, mit meinen Rollen gleichgesetzt zu werden. Vielleicht wirke ich so, aber das Leben ist etwas anderes als eine Rolle.“
Stillstand ist für die Pariserin ein Fremdwort. In Frankreich stürmt sie schon mit ihrem nächsten Film, „Mon Crime“ von François Ozon, die Kinokassen. Ein Kostümfilm, angesiedelt in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts, in dem sie hemmungslos outrieren und ulken darf. „Ich bin ein alternder Star mit wallenden Gewändern und Federhut, der um Geld streitet. François sieht mich gerne in so extravaganten Rollen wie jener der Odette Chaumette. Die erneute Zusammenarbeit mit ihm hat Spaß gemacht.“
„Mich interessiert so viel“
Nicht lassen kann sie auch ihre Engagements am Theater. Im vergangenen Jahr war Huppert bei den Wiener Festwochen als Gutsbesitzerin Ljubow in Tschechows „Der Kirschgarten“ zu sehen. Mit Robert Wilson inszenierte sie das Stück „Mary Said What She Said“ – sie spielt die Maria Stuart, liefert einen bombastischen Monolog ab. „Das spiele ich derzeit im Pariser Space Cardin. Ich mag Theater, es ist fordernd und ich fühle mich so lebendig“. Wie bei den Kinofilmen suche sie sich die Regisseure, mit denen sie arbeitet, genau aus.
"Die Gewerkschafterin“
Der aktuelle Film von Isabelle Huppert (Regie: Jean-Paul Salomé) startet am Freitag in den österreichischen Kinos. Es geht um eine Arbeitnehmervertreterin, die illegale Machenschaften der Atomindustrie aufdeckt – und daraufhin brutal verfolgt wird
Isabelle Huppert
wurde von der New York Times zur besten Schauspielerin der Welt gekürt. Sie hat u. a. mit Michael Haneke, Jean-Luc Godard, Claude Chabrol und Paul Verhoeven gearbeitet. Ihr nächster Film „Mon Crime“ (Regie: François Ozon) dreht sich um die 1930er-Jahre. Huppert ist auch regelmäßig auf Theaterbühnen zu erleben und war bereits wiederholt bei den Wiener Festwochen zu Gast
„Es sind beeindruckende Persönlichkeiten, die mich durch meine Bühnenabenteuer begleiten: Bob Wilson, Tiago Rodrigues oder Krzysztof Warlikowski. Regisseure müssen eine Vision haben, ein Interesse daran, etwas gut und glaubhaft umzusetzen. Wenn das zutrifft, dann kann ich nicht Nein sagen. Mich interessiert so viel“.
Kann sie sich vorstellen, einfach zuhause zu sitzen und nichts zu tun? „Auch ich habe meine Zeiten, wo ich nichts tue. Auch ich liebe die Muße, die Zeit für mich.“ Geht sie auch gerne ins Kino? „Die ganze Zeit. Ich habe zwei Lieblingskinos in Paris, die ich aber nicht verrate. Im Kino sieht und spürt man, dass ein Film beim Zuseher ankommt und dass er von jedem anders wahrgenommen wird. Das liebe ich“.
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