Von Susanne Lintl
Atemlos hetzt Souleymane Tag für Tag durch die Straßen von Paris, stets unter Zeitdruck, mit Riesenrucksack am Rücken und noch mehr Ballast auf der Seele. Souleymane stammt aus Guinea und ist einer von Hunderten Fahrradkurieren, die die hungrigen Bäuche der Pariser mit Essen versorgen. Ein Prekariatsjob, wie fast überall auf der Welt: Denn Fahrradboten sind meist nicht versichert und müssen als selbstständige Unternehmer alle Risiken ihres Berufs selbst tragen - Unfälle und kaputte Räder inklusive. Wer dem Job nicht gewachsen ist, hat Pech.
Der französische Regisseur Boris Lojkine - bisher bekannt als Dokumentarfilmemacher - erzählt die Geschichte eines dieser Sans-Papiers, dieser Männer ohne gültige Aufenthaltspapiere, im Stil eines atemlosen Thrillers, der aufwühlt. Lässt Souleymane buchstäblich keine Zeit zum Luftholen: „Ich wollte dieses Gehetzte, diesen permanenten Druck zeigen, dem diese Menschen ausgesetzt sind. Eine Atemlosigkeit, bei der man nie weiß, wohin sie führt. Meist führt sie zu nichts Gutem“, so der Regisseur im KURIER-Gespräch.
Zeitlich enger Rahmen
Schon beim Schreiben des Drehbuchs habe er darauf geachtet, dass die Geschwindigkeit der Story den Druck widerspiegelt, dem die Fahrradkuriere ausgesetzt sind. Dafür habe er der Geschichte auch einen engen zeitlichen Rahmen gesetzt: „Ich zeige zwei Tage im Leben von Souleymane, die zwei Tage vor seinem Interview bei der Einwanderungsbehörde, das über seinen Aufenthaltsstatus in Frankreich entscheidet“. Als Vorbild habe er sich rumänische Regisseure wie Cristi Puiu oder Cristian Mungiu genommen. „Auch Mungiu blieb bei seinem Abtreibungsdrama ,Vier Monate, drei Wochen, zwei Tage' in einem eingegrenzten Rahmen. Auch da hat man das Gefühl, man finde sich mitten in einem Thriller, ohne Genretypisches hinzufügen zu müssen. Weil nur die Story die Mechanik eines Thrillers schafft“.
Dreh- und Angelpunkt von „Souleymanes Geschichte“ ist Hauptdarsteller Abou Sangaré, wie alle Darsteller Lojkines ein Laie. In einem "casting sauvage", einem wilden Casting, wie es in der Branche genannt wird, fand er seine Filmhelden. Abou Sangaré, der eigentlich Mechaniker ist und in einer Garage in Amiens arbeitet, wäre fast nicht zum Casting erschienen. „Er sagte kurzfristig ab, weil er noch ein Auto reparieren musste und nicht nach Paris fahren konnte.“ Als sie dann doch zusammentrafen, wusste Lojkine sofort: „Der ist es.“
Seit 16. Geburtstag in Frankreich
Wie seine Filmfigur Souleymane ist Sangaré Guineer und lebt seit seinem 16. Geburtstag in Frankreich. Als unbegleiteter Minderjähriger durfte er vorerst bleiben, eine Ausbildung machen - und fand den Job in Amiens. Offizielle Papiere bekam er nie.
Ohne Lojkines Hilfe und Beziehungen hätte er diese wohl auch nie erhalten: „Es war wirklich schwierig. Als Sangaré letztes Jahr in Cannes den Un Certain Regard Award bekam, versuchte ich ihm zu helfen und wandte mich an alle, die ich kannte. Selbst bei Brigitte Macron, deren Familie aus Amiens stammt, intervenierte ich.“ Ohne Erfolg. „Erst, als Sangaré Ende letzten Jahres den Europäischen Filmpreis gewann, kam Bewegung in die Sache. Ich rief noch einmal den Präfekten des Departements Somme, zu dem Amiens gehört, an und bat ihn, sich für ihn einzusetzen. Seit Ende Jänner hat Sangaré nun seine Papiere und seinen legalen Status in Frankreich“. Aber, so Lojkine: „Ohne diese Unterstützung hätte er im aktuellen politischen Klima unseres Landes keine Chance gehabt“.
Er wolle mit seinem Film auch keine falschen Hoffnungen wecken. „Nein, ich will nicht lügen. Realität ist, dass der Großteil der Anträge von der Einwanderungsbehörde negativ beschieden wird. Deshalb lasse ich auch das Ende, wenn Souleymane bei seinem Interview vor der Beamtin sitzt, offen. Wie deren Entscheidung ausfällt“. Er wolle nicht entmutigen und den Antragstellern ihre Würde lassen. „Dass die Beamtin Souleymanes vorgefertigte Geschichte nicht glaubt und ihn bittet, doch seine wahre Fluchtstory und deren Gründe zu erzählen, ihm quasi noch eine zweite Chance während des Interviews gibt, sei natürlich Fiktion. „Das könnte passieren, aber mir ist klar, dass das nicht sehr wahrscheinlich ist“.
Die Interviewszene am Amt sei auch die schwierigste für Sangaré gewesen. „Abgesehen davon, dass die Szene fast 40 Minuten lang ist, was sogar für einen professionellen Schauspieler fordernd ist, war sie extrem emotional für ihn. Letztendlich erzählte er auch seine eigene Geschichte und das war sehr schwer für ihn“.
Sangaré ist übrigens auch trotz der vielen Preise, die der Film und er selbst gewonnen haben (alleine am letzten Wochenende vier Césars!) am Boden geblieben. Er arbeitet weiter als Mechaniker und sieht sich nicht als Schauspielstar. Er ist einfach froh, legal im Land und somit einigermaßen sorglos leben zu können. „Denn“, so der sympathische 23-Jährige, „bisher hatte ich in Frankreich immer Angst“.
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